Moskauer Buchmesse: Erstarkter Nationalismus

In Moskau wurde diese Woche die größte alljährlich Buchmesse Russlands eröffnet. ORF-Moskau-Korrespondent Christian Lininger nahm das zum Anlass, sich anzusehen, wie die russische Literaturszene mit der neuen Nationalismuswelle im Land und dem Krieg in der Ukraine umgeht.

Morgenjournal, 5.9.2014

Aus Moskau,

Wer die Ausstellungshalle der Moskauer Internationalen Buchmesse betritt, der hört es sofort: Von Lugansk und dem Donbass ist die Rede - das Thema, das seit Monaten alle Nachrichtensendungen in Russland dominiert, prägt also auch hier die Diskussionen. Gleich neben dem Eingang etwa stellt der bekannte Kriegsreporter Igor Prokopenko sein neues Buch vor. Der Titel "Die ganze Wahrheit über die Ukraine".

Es seien Fälschungen, Unwahrheiten, meint Prokopenko zu den Berichten in der europäischen Presse, russische Panzerkolonnen hätten die Grenze zur Ukraine überschritten. Prokopenkos "ganze Wahrheit" deckt sich also sichtlich mit jener Wahrheit, die auch in den vom Kreml gesteuerten Medien zu hören ist. Gutgeheißen wird die derzeitige Politik der russischen Führung aber nicht nur von Kriegsreportern, auch der vielleicht prominenteste der jüngeren Generation russischer Autoren, Sachar Prilepin, begrüßt die Annexion der Krim und die neue Patriotismus-Welle in Russland:

"Mir ist das sympathisch, wenn sich ein Volk, welches Volk auch immer, aus dieser Gleichmacherei befreit, aus dieser Unterordnung unter die europäisch-amerikanische Normen, und sich wieder in seiner eigenen Art zeigt. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung ist von den endlosen Vorteilen der liberalen Zivilisation enttäuscht, dieser Quasi-Zivilisation. Die Menschen spüren den Wunsch nach einer Wende zurück zu den Wurzeln. Das ist ein Massenphänomen, das hat nicht erst der Kreml mit seiner Ukraine-Politik ausgelöst, das hat sich über 25 Jahre angestaut, die Gesellschaft hat vom bisherigen Kurs einfach genug."

Die Ukraine-Politik des Kremls hat die russische Literatur-Szene in Befürworter und Gegner gepalten, sagt Alexander Morozow, Leiter des Moskauer Zentrums für Medienstudien: "Mehr Einfluss haben jetzt zweifellos jene, die dafür sind, dass Russland wieder eine Großmacht wird; die die Separatisten in der Ukraine unterstützen", so Morozow. Diese Autoren könnten ihre Sicht der Dinge jetzt nämlich ständig in den ja fast zur Gänze vom Kreml kontrollierten Massenmedien kundtun. Kreml-Kritiker erwartet hingegen etwas anders:

"13 Freunde der Junta" - das etwa war der Titel dieser vor kurzem im Programm NTW ausgestrahlten Sendung. Mit Junta ist die Regierung in Kiew gemeint, und die angeblichen Freunde der Junta, die sind Vaterlandverräter, erfahren die Zuseher. Einer der 13: der Poet und Biograph Dmitri Bykow.

"Eine Opposition gibt es nicht mehr"

Bykow unterstütze öffentlich die Militäraktionen Kiews gegen die Separatisten, heißt es. Und warum? Weil er Geld aus dem Ausland dafür bekomme, wenn er Russland schlecht mache. - Werden nun also nicht nur Oppositionspolitiker, sondern auch kritische Literaten öffentlich angeschwärzt? Ja, meint der Politologe und Medienforscher Morozow - eine politische Opposition im eigentlichen Sinn gebe es in Russland nämlich nicht mehr - alle ihre einst prominenten Vertreter sind ja im Gefängnis, unter Hausarrest oder ins Ausland geflohen.

Alles was von der Opposition geblieben ist, sind einzelne Stimmen, besonders von Kulturschaffenden. Einer von ihnen ist der in Russland äußerst beliebte Autor und Historiker Boris Akunin. Um ihn hat sich bei der Moskauer Buchmesse eine dichte Traube von Zuhörern gebildet. "Wir durchleben eine archaische Periode, die im Widerspruch zum Geist der heutige Zeit steht", sagt Akunin, drückt dann aber doch die Hoffnung aus, dass Russland diese trübe Periode bald überwunden haben wird.