Dmitri Firtasch zur Lösung der Krise in der Ukraine

Der Krieg in der Ostukraine hat nicht nur enormes menschliches Leid hervorgerufen, sondern er hat auch massive wirtschaftliche Folgen für die ohnehin krisengeschüttelte Ukraine. Ihre Oligarchen haben allerdings unterschiedliche Vorstellungen über die Auswege aus der Krise, die die Großunternehmer auch zur Neuverteilung ihrer Machtpositionen in der Ukraine nützen. Einer von ihnen, Dmitri Firtasch, sitzt seit März in Wien fest, wo auch seine Gruppe ihren Sitz hat.

Die USA haben wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen ein Auslieferungsbegehren gestellt, sind aber auch noch nach sechs Monaten stichhaltige Beweise schuldig geblieben. Dmitri Firtasch hat ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz nun in Wien getroffen, um über die Krise in der Ostukraine zu sprechen.

Mittagsjournal, 11.9.2014

Der 49-jährige Dmitri Firtasch zählt in der Ukraine zu den wirtschaftlichen Schwergewichten. Er beschäftigt etwa 100.000 Mitarbeiter, besitzt auch den größten Privatsender des Landes und ist auch Vorsitzender des Unternehmerverbandes der Ukraine. Eines seiner Chemiewerke liegt im Kampfgebiet in der Ostukraine. Firtasch soll über sehr gute Beziehungen nach Russland verfügen, ein Grund, warum die USA in Wirklichkeit so sehr an ihm interessiert sein sollen. Um die Krise der Ukraine zu überwinden, sieht Dmitri Firtasch nur einen Weg:

"Man muss den Krieg stoppen; er war ein Fehler, weil wir nicht darauf vorbereitet waren, Krieg zu führen, weil wir ihn gegen Russland nicht gewinnen können. Wir müssen verhandeln, einen anderen Ausweg gibt es nicht. Ob uns Putin Gefällt oder nicht, wir müssen mit ihm noch einige Jahre leben. Mit Putin müssen wir verhandeln, nicht mit den Separatisten. Sie sind eine erfundene Geschichte und bedeutungslos. Daher bringen Gespräche in Minsk nichts. Wenn Putin die Grenze schließt, und seine Leute abzieht, enden die Kämpfe sofort und diese Freischärler fallen in sich zusammen. Damit Putin das tun, muss man die Frage beantworten, warum ist er in die Ostukraine gekommen. Ein Grund ist, dass Putin nicht bereit ist, dass die NATO ihm im Nacken sitzt. Er hätte nie zugelassen, dass in Sewastopol, amerikanische Kriegsschiffe vor Anker gehen. Wir müssen mit Putin einen Kompromiss finden."

Dieser Kompromiss beinhaltet für Firtasch nicht nur jede Absage an eine NATO-Mitgliedschaft, sondern auch einen Verzicht der Ukraine auf eine weitere Annäherung an die EU; Dmitri Firtasch:

"Wir sollen nicht nach Europa gehen. Aber wir sollen auch nicht der Zollunion mit Russland beitreten. Wir müssen neutral sein, und mit allen gute Beziehungen haben. Denn die Ukraine hat territorial und geopolitisch sehr gut Möglichkeiten. Probleme bereitet uns immer wieder das Entweder - Oder. Hätten wir diese Haltung bereits vor zehn Jahren eingenommen, hätten wir weder die Krim verloren, und es würde sich auch nicht die Frage nach der Ostukraine stellen. Natürlich braucht die Ukraine auch eine Armee, denn das Leben hat gezeigt, dass uns keine Garantien gegeben werden. Wir können sowohl mit der NATO als auch mit den Russen dann zusammenarbeiten, doch wir brauchen eine Armee."

Pessimistisch beurteilt der Großunternehmer die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine. Der Wiederaufbau im Osten werde jedenfalls viel mehr kosten als die Regierung in Kiew derzeit annehme, sagt Dmitri Firtasch:

"Die Wirtschaft wird in sehr schlechtem Zustand sein. Gründe für ihr Wachstum fehlen, weil der Osten stillsteht. Hinzu kommt die große Inflation. Das Geld, das wir vom Internationalen Währungsfonds bekommen wird für Pensionen verwendet, löst damit aber keine Probleme. Daher müssen wir den Krieg beenden und das Land erneuern. Ministerpräsident Jazenjuk schätzte, dass der Wiederaufbau nach heutigem Kurs etwa 700 Millionen US-Dollar kosten wird. Das ist lächerlich. Ich denke, die Kosten werden mindestens 13 Milliarden US-Dollar betragen; im Osten ist die Infrastruktur zerstört, daher ist das ein enormes Problem."

Firtasch fordert eine umfassende Föderalisierung der Ukraine nach dem Muster Österreichs oder Deutschlands. Dieser Reform des Staatsaufbaus hätte schon vor zehn Jahren erfolgen müssen, denn dann hätte sich die Ukraine wohl den Verlust der Krieg und den Krieg in der Ostukraine erspart, betont Dmitri Firtasch.