Wer bekommt den Literaturnobelpreis?

Heute wird bekannt gegeben, wer den Literaturnobelpreis, dotiert mit 870.000 Euro, erhält. Wettlisten, wie die von Ladbrokes im Internet, heizen allerdings die Spekulationen an.

Morgenjournal, 09.10.2014

Die ideale Kandidatin für den heurigen Literaturnobelpreis ist eine afrikanische Lyrikerin mit asiatischen Wurzeln, die in Russisch politisch kritische Romane zum Syrienkonflikt schreibt, sich in ihrem Heimatland Nigeria der Genderfrage widmet und in Gefangenschaft ein sprachlich brillantes und umfassendes Oeuvre aus Prosa, Lyrik und Dramatik geschaffen hat. Weil es diese literarische eier-legende Wollmilchsau aber vermutlich nicht gibt, werden sich die 18 Mitglieder der Schwedischen Akademie wohl aus der Favoritenliste bedienen.

Ganz vorne liegt hier - wie in den letzten Jahren auch schon - der japanische Romancier Haruki Murakami, Jahrgang 1949. Die Favoritenrolle spricht aber auch gegen ihn, denn die Akademie liebt Überraschungen und auf der Zielgerade ist er dann doch immer überholt worden. Der Bestsellerautor verfasst seine Romane im Stil des magischen Realismus, wie etwa sein Opus Magnum "1Q84". Hochgelobt, vielgelesen, aber oft als zu oberflächlich oder westlich kritisiert.

Mehr Chancen hat da schon der kenianische Erzähler Ngugi wa Thiong'o, Jahrgang 1938, der zuletzt mit dem Roman "Herr der Krähen" afrikanische Literaturgeschichte geschrieben hat. Als Kolonialherrschafts-Kritiker schreibt er in der afrikanischen Sprache Kikuyu, denn in der Zeit der Unterdrückung habe sich auch eine Hierarchie der Sprachen ergeben, mit Englisch an der Spitze, sagt er. Thiong'o lebt in den USA, im Vorjahr wurden ihm nur Außenseiterchancen zugesprochen, diesmal ist er ganz vorne. Für ihn spricht sein Land, denn der Kontinent Afrika wurde bei der Nobelpreisvergabe lange missachtet.

Die Dritte im Bunde, die auch schon im letzten Jahr weit vorne lag - ist die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch, Jahrgang 1948. Sie wurde mit Berichten und Reportagen bekannt - etwa über die Atomkatastrophe von Tschernobyl. Oder den sowjetischen Afghanistankrieg. Sie gilt als Chronistin des Lebens in autoritären Gesellschaften und hat zuletzt zur Ukraine-Krise klare Worte gesprochen. Swetlana Alexeijewitschs Stil ist die literarische Reportage, ein Genre, das bisher noch nie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Etwas konservativer würde die Entscheidung für den französischen Erzähler Patrick Modiano ausfallen, derzeit auf Platz 6 der Buchmacherlisten, der mit seinen Romanen meist in die Vergangenheit, in Kindheitserinnerungen und ins Paris der Nachkriegsjahre abtaucht.

In Paris lebt auch der syrisch-libanesische Dichter Adonis - Ali Ahmad Said, der als einer der bedeutendsten arabischen Dichter der Gegenwart gehandelt wird und mit seinen kritischen Essays für Aufsehen in der arabischen Welt gesorgt hat. Er und der albanische Schriftsteller Ismail Kadare belegen Platz 4 und 5 auf den Wettlisten.

Vor genau zehn Jahren hat Elfriede Jelinek den Nobelpreis erhalten. Heuer ist Peter Handke als einziger Österreicher unter den Top 10 - seine pro-serbische Haltung, die schon beim Ibsen-Preis heftige Diskussionen ausgelöst hat, machen eine Wahl aber eher unwahrscheinlich.

Eine derzeitige Antipathie der Akademie gegenüber amerikanischen Schriftstellern vermutet, wahrscheinlich zu Recht, der Autor Paul Auster - die letzte amerikanische Nobelpreisträgerin war vor 21 Jahren Toni Morrison. Das hält auch die Chancen für den ewigen Nobel-Preis-Anwärter Philip Roth und die amerikanische Pulitzer-Preisträgerin Joyce Carol Oates eher gering.

Eines ist sicher. Der Literaturnobelpreis-Vergabezirkus gehorcht seinen eigenen Regeln und Ritualen, Überraschungen inklusive. Heute um Punkt 13 Uhr weiß die Welt mehr.