Selbstständigkeit: Boom bei 50+

In Österreich werden von Jahr zu Jahr mehr Unternehmen neu gegründet, im Vorjahr waren es schon 30.000 - vor allem im Handel und in der Consultingbranche. Auffällig dabei ist, dass die "Jung"-Unternehmer oft in fortgeschrittenem Alter sind, bereits 15 Prozent der Neu-Unternehmen werden gegründet von Menschen über 50. Das nicht zuletzt, weil sich die Situation auf dem heimischen Arbeitsmarkt verschärft und man bereits mit Mitte 40 bereits als schwer vermittelbar gilt. Die Selbständigkeit ist da oft die letzte Chance, beruflich durchzustarten.

Mittagsjournal, 16.10.2014

Spätberufen mit 54

Vor knapp zwei Monaten hat in der Wiener Innenstadt das Schmuckgeschäft Marrying aufgesperrt - der Österreich-Ableger einer deutschen Franchisekette. Norbert Jaborsky hat das Konzept nach Österreich gebracht. Er ist gebürtiger Deutscher und mit 54 ein echter Spät-Berufener in der Schmuck-Branche: er war 37 Jahre in der Transportbranche, wurde gekündigt und hat sich überlegt, was er tun könnte. Ein Inserat seines jetzigen Franchise-Partners habe schließlich sein Interesse geweckt. Wieder Bewerbungen schreiben und in seinen alten Job zurückkehren - das wollte er nicht mehr: das wäre nur Plan B gewesen, ich wollte mich nicht mehr mit den anderen Kollegen messen, mit einem Chef der vielleicht gerade einmal 30 ist.

Bereits jedes sechste österreichische Unternehmen wird aus der Arbeitslosigkeit heraus gegründet: Denn mit über 50 tut man sich bei der Jobsuche zunehmend schwer. Die Selbständigkeit sei da oft eine Notlösung, sagt Josef Siess - Chef der Beratungsstelle EUSPUG, die arbeitslose Führungskräfte coacht: für etwa die Hälfte ist die Selbständigkeit die letzte Exit-Strategie.
Doch nicht alle potentiellen Gründer würden auch genug Geschäftssinn mitbringen: das sind meist Leute, die in Betrieben eingebettet waren, die haben sich nie mit Buchhaltung, Marketing oder Rechtsfragen beschäftigt, manchmal raten wir auch dringend davon ab, sich selbständig zu machen.

Um Arbeitslose bei ihrem Schritt in die Selbständigkeit zu unterstützen, hat das AMS ein eigenes Gründungsprogramm ins Leben gerufen.
Dabei stellt das AMS Gründern Unternehmensberater zur Seite und übernimmt die Kosten für Weiterbildungskurse. Auch das Arbeitslosengeld wird während des Programms weiter ausgezahlt. Goodies, die auch immer mehr ältere Arbeitslose wie Herrn Jaborsky ansprechen: ohne meinen Unternehmensberater hätte ich meine Finanzierung nicht bekommen, man muss in Wien für alles und jedes ein Formular ausfüllen - das kostet Geld und ist nicht ganz einfach.

Der Trend hin zur späten Selbständigkeit sei aber nicht nur bei Arbeitslosen spürbar, heißt es beim Gründerservice der Wirtschaftskammer. Viele Ältere würden sich ihre Zeit einfach gerne flexibler einteilen - und ihr eigener Chef sein. Auffällig ist allerdings, dass nur wenige Gründer über 50 mit einer innovativen Idee auf den Markt kommen. Die meisten machen sich in dem Bereich selbständig, in dem sie vorher gearbeitet haben. Unternehmensberaterin Tina Trofer: da haben sie Erfahrung, das Risiko besser abschätzbar, glauben sie.

Norbert Jaborsky ist da also eine Ausnahme. Und mit Businessplan und Finanzierung hat er zwei wichtige Hürden bereits gemeistert. Jetzt will der NEO-Unternehmer über Facebook und mit Gutschein-Aktionen erste Kunden anlocken: erfolgreich ist die Sache dann, wenn ich damit Geld verdienen kann und so leben kann wie früher in meinem Job, sagt er.

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