Heinz Bude über die Statuspanik der gesellschaftlichen Mitte
Gesellschaft der Angst
Heinz Bude hat eine hervorragende Analyse für eine Zeit der verstörenden Ungewissheit, der heruntergeschluckten Wut und der stillen Verbitterung vorgelegt.
8. April 2017, 21:58
Wohl nichts kennzeichnet unsere Zeit besser als der Begriff der Angst. Armut, Alleinsein, Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg. Ängste, die wohl jeder hat - und Ängste, die keine sozialen Grenzen kennen. Die Reichen fürchten sich ebenso wie die Armen. Und am allmeisten scheinen sich die zu fürchten, die dem Mittelstand angehören. “Die Statuspanik der gesellschaftlichen Mitte“ heißt dann auch das zentrale Kapitel dieses Buches. Früher gab es jene, die Kapital hatten und die großen Masse, die bloß ihre Arbeitskraft besaß. Diese Trennung ist schon lange überholt. So wie auch der Begriff des “Klassenkampfes“. Heute dominiert die “Mehrheitsklasse“. Zusammengehörigkeitsgefühl gibt es in dieser “wesenlose Nichtklasse“ keines. Sind doch alle, die dazu gehören, voll auf damit beschäftigt, nur ja nicht aus ihr herauszufallen.
In den letzten Jahren hat sich in den westlichen Gesellschaften die soziale Stellung zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern radikal geändert. Bis in die 1980er Jahre noch war es so, dass die Freiberufler wesentlich besser verdienten als die Angestellten. Anfang 2014 stellte eine Studie in Deutschland fest, dass ein Viertel aller 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro hat. Künstler, Journalisten, Architekten und Übersetzen finden sich ebenso in dieser Klasse der prekären Selbstständigen wie Friseure oder Kioskbesitzer.
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Heute spricht man in diesen Fällen von Formen des “prekären Wohlstands“ in der Mitte unserer Gesellschaft, von dem Leute betroffen sind, die genauso gut im saturierten oberen Teil der Mittelklasse gelandet sein könnten.
Ob man sich als prekärer Selbstständiger plagen muss, oder als Angestellter 15 Monatsgehälter und vollen Kündigungsschutz genießt, darüber entscheidet nicht die Leistung - und man kann es sich auch nicht selbst aussuchen; mehr und mehr bestimmt der Zufall, die Gnade der frühen Geburt oder die Herkunft darüber, ob man sich am oberen oder unteren Teil der Mittelschicht wider findet.
Unser ganzes Leben scheint heute ein einziges Assessment Centre zu sein. Besucht man die richtige Schule? Hat man als Kind schon Chinesisch gelernt? Hat man die richtigen Freunde? Die Angst kommt daher, schreibt Heinz Bude, dass zwar alles offen, aber nichts ohne Bedeutung ist. Stets beschleicht einen das Gefühl, dass ein falscher Schritt, das gesamte spätere Leben überschattet. Die Existenz ist unsicher - und morgen schon kann der oder die Einzelne abstürzen.
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Man kann die Veränderung so auf den Punkt bringen, dass wir heute einen Wechsel im gesellschaftlichen Integrationsmodus vom Aufstiegsversprechen zur Exklusionsdrohung erleben. Man wird nicht mehr durch eine positive, sondern nur noch durch eine negative Botschaft bei der Stange gehalten. Damit geht die Angst einher, ob der Wille reicht, die Geschicklichkeit passt und das Auftreten überzeugt.
“The only thing we have to fear is fear itself“ - Das Einzige, wovor wie Angst haben müssen, ist die Angst selbst. Franklin D. Roosevelt sprach diese legendären Worte am 3. März 1933 - nach den schrecklichen Jahren der Depression in den USA. Man könnte die gesamte Entwicklung der Wohlfahrtsstaaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Antwort auf diese Worte interpretieren, schreibt Heinz Bude. Denn nicht nur sollten Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft werden, sondern auch die Angst davor. Das hat sich in den letzten 20, 30 Jahren radikal geändert, meint der Soziologe.
Schuld daran trägt unter anderem die Tatsache, dass sich auch in unseren Breiten die “The Winner Takes it all“-Mentalität durchgesetzten hat. Der Gewinner bekommt alles - die anderen müssen schauen, wo sie bleiben. Eine Folge dieser Mentalität sind die enormen Einkommensunterschiede. Laut der Zeitschrift “The New Yorker“ verdient heute in den USA der Chef einer Baufirma das 93fache dessen, was seine Arbeiter bekommen. Am schlimmsten ist das Verhältnis in der Fast-Food Industrie. Da beträgt es 1200:1.
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Gehöre ich zu jenen, die im Rampenlicht stehen, die bewundert werden, um die man sich drängt - oder muss ich mich zu den Aussortierten und Geschlagenen rechnen, denen man für ihre Teilnahme mit den besten Wünschen dankt, die aber mit dem Vorlieb zu nehmen haben, was übrig bleibt?
Heinz Bude hat einen hervorragenden Text vorgelegt. “Über die “Sehnsucht nach einer unkündbaren Beziehung“ schreibt er ebenso wie über “Die Angst der Anderen“ oder “Die Verhaltenslehren der Generationen“. Stets ist er am Punkt, formuliert prägnant aber niemals oberflächlich. “Gesellschaft der Angst“ ist die notwendige Analyse für eine Zeit der verstörenden Ungewissheit, der heruntergeschluckten Wut und der stillen Verbitterung.
Gestaltung: Gerhard Pretting
Service
Heinz Bude, "Gesellschaft der Angst", Hamburger Edition