Reise in eine verschwindende Welt
Die Nacht
Der amerikanische Literaturprofessor Paul Bogard hat sich auf die Suche nach der Dunkelheit begeben und mit "Die Nacht" eine spannende Lektüre über die Folgen der Lichtverschmutzung vorgelegt: von den Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen über Schlafstörungen bei Menschen bis zu Fragen der Sicherheit.
8. April 2017, 21:58
Eine Sommernacht in der dunkelsten Gemeinde Österreichs, in Großmugl im Weinviertel klingt so: Grillen zirpen, Frösche quaken, einzelne Glühwürmchen schweben herum.
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Stille ist eng mit dem Dunkel verwoben. Jedenfalls sollte es so sein.
Leider ist das in der westlichen, industrialisierten Welt jedoch die Ausnahme.
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Denn wo Lichtverschmutzung ist, ist sehr wahrscheinlich auch Lärm.
Die Umweltkatastrophe
Der Lärm von Fahrzeugen, die nachts über die Straßen der Welt donnern, geht mit Erleuchtung einher. Jedes Fahrzeug bewegt sich wie eine helle Laterne durch die Nacht. Im Scheinwerferkegel erstarren Hasen, Kaninchen und Füchse, Rotwild, geblendet vom gleißenden Licht, springt meist genau vor das Fahrzeug. Eine Vielzahl von Tieren lassen ihr Leben auf Grund von nächtlichem Licht.
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Eine einzige Nacht im Jahr 1954, in der fünfzigtausend Vögel zu Tode kamen, weil sie dem Leitstrahl eines Flughafens direkt bis auf die Landebahn gefolgt waren; oder mehr als fünftausend Lappentaucher, die sich im Jahr 2011 auf Parkplätzen zu Tode stürzten, die sie wegen des Lichtschimmers, der von den angestrahlten Wolken über der Stadt auf sie zurückgeworfen wurde, offenbar für Teiche gehalten hatten.
Das Vogelsterben ist nur ein Detail am Rande einer weltweiten Umweltkatastrophe. In seinem Buch "Die Nacht" beschreibt der amerikanische Literaturprofessor Paul Bogard zahlreiche solcher Vorfälle, die der "Lichtverschmutzung" geschuldet sind.
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Betrachtet man die nächtlichen Kontinente unseres Planeten auf Fotos, dann scheinen sie in Flammen zu stehen. Über die ganze Erdkugel verteilt sich das gleißende Licht von Straßenlaternen, Parkplätzen, Tankstellen, Shoppingcenters, Stadien, Büros und Wohnhäusern.
Südhang des Atlasgebirges - endlich dunkel
Paul Bogard, Professor für Englische Literatur an der James Madison University in Virginia machte sich auf die Suche nach der Nacht. Er beschränkte seine Reise auf die beiden hellsten Kontinente der Erde: Nordamerika und Europa. Fündig wurde er allerdings am Südhang des Atlasgebirges, wo es keine Lichtverschmutzung - also das Abstrahlen der Beleuchtung von Wegen, Industriekomplexen, Flughäfen und Städten ins Weltall - gibt.
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Ich sah den Himmel zum ersten Mal dreidimensional - er hatte eine immense Tiefe, manche Sterne schienen ganz nah, andere viel weiter weg, und die Milchstraße war so scharf konturiert, dass sie eine richtige "Struktur" besaß, wie Astronomen es nennen, wenn es dich regelrecht in ihre spiralartigen Tiefen hineinzieht.
Das Buch beginnt mit der Bortle-Skala, die den Nachthimmel in neun Kategorien einteilt. Sie reichen vom innerstädtischen Himmel, der weiß oder orange angestrahlt, nur den Blick auf den Mond und wenige Sterne freigibt, bis zum "Ort mit exzellent dunklem Himmel" - den wohl kaum ein Mensch in der westlichen Welt je gesehen hat.
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Das Zodiakallicht, der Gegenschein und das Zodiakalband sind allesamt sichtbar. Die Milchstraßenregionen von Skorpion und Schütze werfen deutliche diffuse Schatten auf die Erde. Das Strahlen von Jupiter und Venus vermindert die Dunkeladaption des Auges.
Beeindruckendes Spektrum
Was Paul Bogard auf 324 Seiten zum Thema Nacht zusammengetragen hat, ist beeindruckend. Das Spektrum reicht von den Auswirkungen taghell erleuchteter Nächte auf Tiere und Pflanzen über Schlafstörungen bei Menschen bis zu Fragen der Sicherheit, mit denen Außenbeleuchtungen bisher gerne begründet wurden.
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Die Leute, die behaupten, Licht sei von Vorteil, versetzen sich nie in die Lage von Verbrechern. Wer profitiert denn von einem riesigen Sicherheitslicht um drei Uhr in der Früh? Ist das der Bewohner, der drinnen tief und fest schläft, oder der Einbrecher, der unter dem Licht sein Werkzeug sortieren kann?
Licht, Nacht und der Krebs
Und dann sind da noch die Auswirkungen von zu viel Licht auf die Gesundheit des Menschen.
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In den vergangenen zwanzig Jahren lieferten wissenschaftliche Studien schlagende Beweise für den Zusammenhang von Licht, Nacht und Krebs. An erster Stelle scheint dabei zu stehen, dass Licht in der Nacht die Produktion des Hormons Melatonin unterdrückt, weil es der Körper nur im Dunkeln produzieren kann. Und Melatonin spielt offenbar eine Schlüsselrolle beim Wachstum verschiedener Krebsarten.
Das blaue Licht, das uns aus Computerbildschirmen, Handydisplays und Fernsehern nachts stundenlang anstrahlt, ist laut neuesten Forschungen besonders schädlich.
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Vielleicht werden uns diese neuen Erkenntnisse über das blaue Lichtspektrum noch dazu bewegen, unsere Gewohnheiten zu ändern, aber letztendlich warnen uns Forscher, dass die Wurzel des Übels nicht die spezifische Art der nächtlichen Beleutung ist, sondern die Tatsache, dass es überhaupt künstliches Licht bei Nacht gibt.
Paul Bogard bietet spannende Lektüre, in der neben naturwissenschaftlichen Informationen auch Philosophie, Geschichte und Kultur nicht zu kurz kommen. Schade nur, dass bei der Übersetzung ins Deutsche versucht wurde, den amerikanischen Ton des Originals möglichst genau zu treffen. Ein wenig mehr dichterische Freiheit zugunsten sprachlicher Besonderheiten des Deutschen hätte dem Text gut getan.
Service
Paul Bogard, "Die Nacht - Reise in eine verschwindende Welt", aus dem Englischen von Yvonne Badal, Karl Blessing Verlag München, Juni 2014