Israel: Angst vor neuen Ausschreitungen

In Israel wächst die Angst vor einer neuen Intifada, einem Palästinenseraufstand. Die schwierige Lage im Nahen Osten führt die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini deshalb heute nach Israel und am Wochenende in die Palästinenser-Gebiete. In Ost-Jerusalem ist es seit Monaten unruhig. Junge Palästinenser liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei, es gab Anschläge mit Autos gegen Passanten und ein Schussattentat auf einen jüdischen Rechtsaktivisten. Der Turbulenzen haben viele Ursachen, zuletzt haben sie verstärkt einen religiösen Anstrich bekommen, weil es immer wieder auch um den Tempelberg geht, der Juden und Muslimen heilig ist.

Mittagsjournal, 7.11.2014

Aus Israel,

Heute ist Freitag, der Ruhetag der Muslime – da richtet sich der Blick wieder ganz besonders auf den Tempelberg in Jerusalem. Er ist die heiligste Stätte für die Juden, und zugleich ist er auch den Muslimen heilig, oben auf der Esplanade stehen die El-Aksa-Moschee und der Felsendom, besonders viele Gläubige wollen heute dort beten, das könnte wieder Reibereien oder Ausschreitungen auslösen – denn in Ost-Jerusalem brodelt es schon seit Monaten.

Fast täglich kommt es in arabischen Vierteln wie Schuafat, Issawya oder Abu Tor zu turbulenten Zusammenstößen – junge Palästinenser, oft mit verhüllten Gesichtern, werfen Steine, Brandbomben und Feuerwerkskörper, israelische Polizisten in Kampfmontur reagieren mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen. Die Lösung ist nur eine dritte Intifada, ein Aufstand, sagen Palästinenser in Schuafat.

Vorläufig sind es doch bloß sehr punktuelle Unruhen, doch immer wieder wird die Frage gestellt, ob sie sich tatsächlich zu einem breit angelegten Aufstand hochschaukeln könnten. Manche meinen, die Intifada sei schon da – eine Stadt-Intifada in Jerusalem.

Man hört jetzt auch den Ausdruck „Auto-Intifada“, weil es mehrmals Anschläge mit Fahrzeugen gegeben hat – erst vor zwei Tagen hat ein Palästinenser absichtlich an Straßenbahnstationen mit einem Lieferwagen Passanten und Polizisten niedergemäht, zwei Menschen wurden getötet, mehrere wurden verletzt, ein Polizist hat den Attentäter dann erschossen – und das erhitzt wiederum die Palästinenser, weil der Attentäter aus ihrer Sicht ein Held ist. Nun hat man an Straßenbahnstationen große Betonblöcke hingestellt, die die Wartenden schützen sollen: Ich schaue jetzt alle Autos an, sagt eine junge Frau, jedes könnte einen Anschlag machen, aber wie soll ich nachhause kommen ohne Straßenbahn.

Es gibt dabei nicht eine einzelne klare Ursache für die Unruhen, sondern viele Faktoren, die mitspielen. Begonnen hat alles schon im Juni, mit der Entführung und Ermordung von drei jungen Israelis und einem Rachemord an einem jungen Palästinenser. Dann kam der Gaza-Krieg im Sommer, der wurde ebenfalls von Unruhen in Jerusalem begleitet. Es gibt eine allgemeine Verbitterung der Palästinenser über die Vernachlässigung der arabischen Viertel durch die Stadtverwaltung und immer wieder Ärger, wenn Israel Bauprojekte in Ost-Jerusalem ankündigt.

Zuletzt schien es aber vor Allem um den Tempelberg zu gehen. Die Verwaltung des Tempelbergs hat Israel 1967 einer muslimischen Stiftung überlassen – und nach der geltenden Regelung dürfen nur Muslime oben beten. Juden und andere Nicht-Muslime haben nur sehr eingeschränkten Zugang, und sie dürfen auf dem Tempelberg auf keinen Fall Gebete verrichten. Rechtsgerichtete jüdische Politiker und Aktivisten wollen nun erreichen, dass es auch Juden gestattet wird, auf dem Tempelberg zu beten.

Die Palästinenser aber sehen in diesen Bestrebungen einen Angriff auf ihre Moscheen – es ist ein ganz heikles und heißes Pflaster, und das weiß auch Benjamin Netanjahu. Der israelische Premier versichert, dass es keinerlei Pläne gebe, den Status quo auf dem Tempelberg zu ändern – er hat alle israelischen Politiker aufgefordert, Besuche auf dem Tempelberg zu unterlassen und sich zu dem Thema nicht zu äußern. Aber niemand weiß an diesem Punkt, ob die Spannung abgebaut werden kann oder ob es noch schlimmer wird.

Übersicht

  • Naher Osten