"Café Sonntag"-Glosse von Christian Meyer

Michael Sturminger und ich kennen uns seit noch nicht ganz 50 Jahren. Wir haben uns mit drei Jahren im Kindergarten kennengelernt, sind in der Nachbarschaft aufgewachsen und waren in der Volksschule und den größten Teil des Gymnasiums in derselben Klasse.

Christian Mayer im Studio

Christian Mayer

ORF/SCHIMMER

Michael war zwar kein guter Schüler, aber bei uns allen besonders beliebt. Diese Mischung aus höflich, lustig und blond war unwiderstehlich. Schon während der Volksschule verbrachten wir unzählige Nachmittage gemeinsam.

Damals war der 13. Bezirk noch voller Gstetten, und man wusste nicht genau, wo der Rote Berg aufhört und die ersten Gstetten anfangen. Da pirschten wir durchs Unterholz und sammelten rote Felsen und Holzteile, mit denen wir dann bei Michael zu Hause Szenographien für seine Riesensammlung von Plastikfiguren aufbauten. Aus heutiger Sicht waren das wohl erste Inszenierungen, die regelmäßig mit unkontrollierten Schlachtszenen endeten.

Als Volksschüler hörten wir auch sehr gerne Schallplatten von Michaels Vater - gefühlte 1000 Mal die Zauberflöte - und sangen die Arien lauthals mit. Michael kannte die Texte von vorne bis hinten auswendig. Als Teenager begannen wir, Literatur zwischen Bob Dylan und den Beatles mit Gitarre und Klavier zu spielen und weiterhin lauthals dazu zu singen.

Mit 14 hatten wir eine erste Band, und Michael war von Anfang an der Frontman. Wenn ein Gen bei ihm besonders ausgeprägt ist, dann jenes der Rampensau. Er ist kein großer Instrumental-Virtuose, aber er kann seine Mannschaft, ob das nun Musiker sind, Sänger oder Schauspieler, ganz natürlich anleiten und durch einen ganzen Abend tragen.

Schon bevor wir richtig Englisch gelernt hatten, kannte Michael dutzende Songtexte und wusste, ob es sich nun um Liebe, um politischen Protest oder um bewusstseinserweiternde Substanzen handelte. Dazu las er schon früh echte Literatur von Musil bis Proust, und das alles gab ihm die Anmutung eines Intellektualismus, der sich nicht aus dem uns in der Schule umgebenden Bildungskleinbürgertum erklären lässt, sondern nur aus sich selbst heraus.

Für unsere Band Appendix schrieb er die meisten Texte und komponierte mit einer fast Mozart'schen Leichtigkeit. Sein Studium bei Axel Corti auf der Wiener Filmakademie nutzte er, um erste Filmskripts zu schreiben. Dabei entstanden in den frühen 1980er Jahren dann auch Videos zu unseren Songs.

Unter Druck arbeitet Michael besonders gut. So hämmerte er mitten in der Nacht das Libretto zu Bernhard Langs Oper "I Hate Mozart" ins Notebook, ebenso das Script für das Jack-Unterweger-Stück "The Infernal Comedy". Da saßen wir mit seiner Frau Renate und Freunden bei der vierten Flasche Rotwein und hörten das Klappern aus dem Nebenzimmer. Endlich setzte Michael sich zu uns mit der Bemerkung: "Übermorgen ist Abgabetermin und jetzt hab' ich endlich den dritten Akt angefangen."

Von den Indianer-Inszenierungen und Zauberflöten-Marathons des Volksschülers bis zu den großen Arbeiten als Regisseur und Librettist ist Michael einen verhältnismäßig kurzen, geraden Weg gegangen, wie mir scheint. Die Antriebsquellen bleiben ja doch ein Leben lang dieselben, und das sind bei Michael: eine genuine Kreativität, eine schier unendliche Phantasie und ein bereits in den Genen imprägniertes Künstlertum. Er hat wie jeder gute Regisseur sehr genaue Vorstellungen von dem, was auf der Bühne abläuft, aber zugleich verfügt er über eine souveräne Großzügigkeit und viel Empathie mit seinem Ensemble.

Michael hat schon bis heute ein eindrucksvolles Ouevre vorgelegt. Dennoch steht er für mich noch nicht dort ganz oben, wo er hingehört. Manche meinen, er sei zu nett. Vielleicht ist er zu nett oder zu unkompliziert. In seinem Metier hat er zum Glück ja noch viel Zeit, man denke nur an die Alterskarrieren eines Michael Haneke oder von George Tabori. Und nicht weniger erwarte ich noch von Michael Sturminger!