Tomas Zierhofer-Kin im "Journal zu Gast"
Donaufestival-Chef Tomas Zierhofer-Kin übernimmt 2016 die Festwochen-Leitung und möchte die "bürgerlichen" Festwochen neu positionieren. Im "Journal zu Gast" spricht er über neue Strategien, das Publikum stärker einzubinden, bahnbrechende Produktionen und professionelle Außenseiter.
8. April 2017, 21:58
APA/HELMUT FOHRINGER
Mittagsjournal, 24.12.2014
Theater als körperliches Erlebnis
Wann ist Tomas Zierhofer-Kin das letzte Mal begeistert aus dem Theater gekommen? Soeben habe er in Berlin "Situation Rooms" von Rimini Protokoll gesehen. Das interaktive Rollenspiel versammelt 20 Menschen aus mehreren Kontinenten, deren Biografien von Waffen mitgeschrieben wurden. Das Publikum betritt mit einem I-Pad ein zweistöckiges Haus, in dem jeder Raum eine Geschichte aus einem Land erzählt. Der Besucher erfährt aus der Perspektive der jeweils erzählenden Person die Geschichte und die Räume.
Geht es immer stärker darum, das Theater zu einem körperlichen Erlebnis zu machen? Zierhofer-Kin: "Das bürgerliche Ideal des Theaters war Verstehen. Ich glaube aber, dass Theater in der Urform, wie wir Menschen es erfahren, ein sehr ganzheitliches Erlebnis ist. Wo auch viele Elemente, die wir vor allem in weiterer Folge im deutschsprachigen Raum verloren haben, dass diese Elemente - Körperlichkeit, extreme Emotion - immer stärker kommen."
"Das Bürgerschreckhafte ist heute nicht mehr relevant"
Strategien, wie sie der Aktionismus verwendet hat – zu stören, zu verstören -, machen jetzt Platz neuen Strategien, bei denen der oder die Rezipient/in stärker eingebunden wird. "Die Zeit des Verstörens im negativen Sinn, das Bürgerschreckhafte ist heute nicht mehr relevant", so Zierhofer-Kin. "Die Kunst hat im Moment etwas sehr Konstruktives, weil es die Gesellschaft nicht mehr hat", der Bühnenrand als Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit werde aufgelöst.
Erleben konnte man das zum Beispiel bei einer bahnbrechenden Performance-Installation des dänischen Duos Signa - "The Ruby Town Oracle" über die Nachfahren einer Sektengründerin. "Das Publikum", erzählt Zierhofer-Kin, "kam in eine Halle, wo die Sektennachfahren kampiert haben, und plötzlich war es mittendrin und hat mit diesen Leuten interagiert. Das war plötzlich echt."
"Unser Leben ist mittlerweile so falsch geworden, dass die Kunst die richtige Welt darstellt. Es geht eigentlich sehr viel darum, das Bewusstsein infrage zu stellen - was ist wirklich, was ist real -, eine schöne alte Forderung der Verrückens." In der Kunst mache Zierhofer-Kin kleine Kunstgriffe um "etwas zu verrücken und dann zu zeigen, wie die Welt in Wirklichkeit sein könnte".
Platz für die Klassiker?
"Das Theater an sich ist tot" hat Tomas Zierhofer-Kin in einer frühen Phase der Leitung des Donaufestivals gemeint. Was bedeutet das für die Festwochen, für die alten Klassiker? "Ich finde es sehr schön, wenn man sich auch mit alten Dingen auseinandersetzt", so der designierte Leiter. Nur müsse man die Werke so machen, dass sie den Menschen etwas erzählen.
"Für mich ist klar: Wenn man Theater liebt, dann muss man Theater als Institution hassen", sonst könne man nicht an die Essenz der Sache gehen. "Man muss immer wieder alles infrage stellen und es neu mit Inhalt aufladen." Dann sei es sehr schön, alte Stücke, wie Zierhofer-Kins Lieblingsoper "Poppea" aufzuführen.
In der Frühzeit der Oper war viel mehr Spektakel. Geht es möglicherweise darum, nicht nur die Oper auf der Bühne zu revolutionieren, sondern auch den Publikumsraum neu zu gestalten? "Darüber muss man nachdenken." Zierhofer-Kin habe oft das Gefühl, wenn man nicht stark gegen das Theater, das Haus, und seien Konvention arbeite, dann werde es schwierig die Dinge zu glauben. "Wahrscheinlich wird es dann leichter, Oper in der U-Bahn oder in einem Kanal-System zu machen. Weil bei Oper denkt man immer an die Oper, an ein Genre, und das ist hemmend", so Zierhofer-Kin. "Wir müssen die Aktionsradien von Oper auflösen und entkolonialisieren."
Professionelle Außenseiter
Seit 2005 haben beim Donaufestival schwule und lesbische Künstler/innen mitgewirkt. Waren sie deswegen so relevant, weil sie als professionelle Außenseiter schon immer ein feines Sensorium für gesellschaftliche Missstände hatten? "Das in jedem Fall. Wir haben dieses Thema Queer, das nicht nur auf sexuelle Orientierung ausgerichtet ist, sondern überhaupt auf ein neues nicht-dualistisches Weltverständnis", so der designierte Leiter.
Hat Tomas Zierhofer-Kin einen Wunsch zu Weihnachten? "Ich glaube, in Wien herrscht eine große Aufbruchsstimmung. Das hat mit Markus Hinterhäuser begonnen. In der Stadt tut sich sehr viel: Wir haben einen Innovationsfonds, neue Bestellungen u.a. mit Anna Badora. Wien ist wieder eine Stadt, die unglaublich schnell wächst. Meine große Hoffnung ist, dass Wien wieder so eine international geachtete, kommunizierende Stadt wird."
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