Russlands Abkehr vom Westen
Nach 20 Jahren mehr oder weniger konfliktfreier Koexistenz sind Russland und der Westen plötzlich wieder offene Widersacher. Der Anlass: die Ukraine. Eine der Folgen: ein dramatischer Niedergang der russischen Wirtschaft. Der Chef des Ifo-Instituts in München, Hans-Werner Sinn warnt heute vor einem Zusammenbruch der Wirtschaft in Russland. Und weit und breit keine Einigung über den künftigen Status der Ostukraine. Kann das neue Jahr eine Entspannung zwischen den Konfliktparteien dort und zwischen Russland und Europa bringen? Oder werden uns die neuen Konflikte noch lange begleiten?
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 3.1.2015
Aus Moskau,
Für den Politologen und Militärexperten Dmitri Trenin vom Moskauer Carnegie-Zentrum war 2014 das Jahr, in dem Russland aus der Weltordnung, die sich nach dem Kalten Krieg ergeben hat, ausgebrochen ist. Die Ereignisse in der Ukraine waren der Anlass für den neuen Konflikt zwischen Russland und dem Westen, aber nicht sein tieferer Grund, sagt Trenin. Russland sei vielmehr nicht zufrieden gewesen mit der Rolle, die ihm in der internationalen Politik zugewiesen wurde, habe sich gedemütigt gefühlt - und insofern bereue die Moskauer Führung auch nichts:
Die Führung hat keine Zweifel, dass ihr Kurs im Großen und Ganzen richtig war, und daher wird sie diesen Kurs fortführen, meint Trenin. Davon, dass eine Konfrontation zwischen Russland und dem Westen und die dadurch ausgelöste Krise letztlich unausweichlich geworden waren, ist auch Fjodor Lukjanow überzeugt, der Chefredakteur von "Russland in der globalen Politik", der führenden Außenpolitik-Fachzeitschrift des Landes.
Es ist alles in diese Richtung gelaufen. Es ist immer offensichtlicher geworden, dass die ökonomische und soziale Entwicklung des Landes in eine Sackgasse geraten sind. Die Ukraine war nicht der wahre Grund, auch wenn es dort keine Probleme gegeben hätte wäre die Krise ausgebrochen, dann eben aus einem anderen Grund.
Lukjanow zeichnet das Bild eines Landes, das seinen Platz nicht gefunden hat - ökonomisch nicht mit seiner einseitig auf den Rohstoffexport ausgerichteten und daher sehr krisenanfälligen Wirtschaft - und auch politisch nicht.
Russland hat die internationalen Regeln gebrochen, die es für nicht gerecht gehalten hat, jene Regeln, die nach dem Ende des Kalten Krieges aufgestellt wurden. Aber es ist schwer, zu begreifen, was Russland eigentlich will. Das Ausland fürchtet sich jetzt vor Russland, weil es nicht versteht, was Moskau will, aber Russland weiß das ja selbst nicht.
Weder Lukjanow noch Trenin glauben, dass Russland im Konflikt mit und um die Ukraine eine klare Strategie verfolgt hat. Der Kreml habe vielmehr spontan auf die jeweiligen Ereignisse reagiert, sagen die beiden Außenpolitik-Experten. Doch während Lukjanow der russischen Führung weiterhin überraschende Schritte zutraut, meint Dmitri Trenin, Moskau habe etwas zurückgesteckt:
Russland ist heute gezwungen, die Realitäten anzuerkennen, so Trenin. Und zu diesen Realitäten gehöre, dass die EU-Assoziierung der Ukraine unumkehrbar ist - und dass auch der Plan gescheitert ist, der Kiewer Regierung die Kontrolle über weitere Gebiete neben Donezk und Lugansk zu entreißen. Auch die Forderung nach einer sogenannten Föderalisierung der Ukraine stellt Russland laut dem Politologen nicht mehr, die Forderung also, dass die Ukraine ihren einzelnen Regionen so viel Unabhängigkeit einräumen soll, dass diese dann Entscheidungen der Zentralregierung in Kiew blockieren können. Heißt das also, dass nun bei den Minsker Gesprächen über die Ostukraine vielleicht doch endlich ein Durchbruch möglich ist? Nein, sagt Fjodor Lukjanow: Es gibt keine Hoffnung, die Krise zu lösen. Im Minsker Prozess geht es überhaupt nicht um eine Lösung des Konflikts - es geht darum, ein Ende der Kämpfe zu erreichen und den Status quo festzuschreiben.
Ein mehr oder weniger stabiler Waffenstillstand, ohne dass die Zukunft der Rebellengebiete in der Ostukraine wirklich geklärt wäre - das ist noch das optimistischste der Szenarien, die Lukjanow zeichnet. Einer echten Entspannung stehe aber nicht nur der Konflikt in der Ostukraine im Weg, sondern auch die Annexion der Krim, fügt Dmitri Trenin hinzu, und die jetzige Führung im Kreml werde die Krim sicher nicht aufgeben: Ich glaube nicht, dass sich zwischen dem Westen und Russland wieder eine partnerschaftliche Beziehung herausbildet, in absehbarer Zukunft ist das unmöglich, der Konflikt wird weitergehen.
Ein Konflikt, der weitreichende Folgen für Russland habe: Für Russland hat eine sehr schwere Zeit begonnen, nicht für Monate, sondern für Jahre. Dem Land stehen große, ja fundamentale Veränderungen bevor. In der Wirtschaft jedenfalls, und was die politische Situation betrifft, schließe ich das auch nicht aus.
Was für ein Land Russland nach dieser Umbruchphase sein wird, und was für eine Politik es dann verfolgen wird, das aber wagt keiner der beiden Politologen vorherzusagen.