Gedächtnistraining in der Wiener Kunsthalle

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf unser kollektives Gedächtnis aus? Dieser Frage geht die Kunsthalle Wien in der Gruppenausstellung "The Future of Memory" auf den Grund.

Kulturjournal, 03.02.2015

Bereits in den 1960er Jahren träumte der US-amerikanische Computer-Pionier Ted Nelson von einer digitalen Archivierung des Weltwissens. Mit seinem Projekt Xanadu lancierte er eine vernetzte Hypertext-Datenbank, die sich allerdings nie durchsetzen konnte. Als das World Wide Web seinen Siegeszug antrat, sprachen viele davon, dass Nelsons Idee Wirklichkeit geworden war.

Service

Zur "The Future of Memory"-Ausstellung erscheint ein E-Book, das man unter kunsthallewien.at kostenlos herunterladen kann.

Ist das Internet, ein Ort des vernetzten Wissens? Oder ein Ort der Manipulation, der Beliebigkeit und des Diebstahls? Die Kunsthalle Wien widmet sich in der Gruppenausstellung "The Future of Memory" der Frage, wie sich die digitale Kommunikation auf unser kulturelles und individuelles Gedächtnis auswirken. Die These: Vor dem Siegeszug der Massenmedien, war die Erinnerung an ein reales Erlebnis gebunden, sie bezog sich auf etwas, das wir tatsächlich erlebt haben. Heute ist unser Gedächtnis mit Bildern austapeziert, die aus den digitalen und elektronischen Medien stammen. Wir bewegen uns in einem selbstreferentiellen Zirkel aus Bildern, der nicht mehr auf die Wirklichkeit referieren.

Auch unser Selbstbild steckt in der Krise: Das Smartphone, dieses modernste Werkzeug der Selbstoptimierung und Selbstkontrolle macht uns zum Zuschauer unseres eigenen Lebens. Vergleichbar vielleicht mit Sex vor dem Spiegel. Man wird zum Hauptdarsteller im eigenen Porno und die Erregung verdoppelt sich so wie das Bild.

Digitale Bilder-Welten

"Da geht es erst mal gar nicht um eine Idee, sondern um eine Situation, mit der wir tagtäglich zu tun haben. Nicht nur im Bereich der Kunst, sondern in allen Lebensfeldern leben wir in einer Realität, die nicht unbedingt der Realität entspricht, der wir im Internet begegnen", so der Kurator Nicolaus Schafhausen. Die Frage, die die Ausstellung "The Future of Memory" aufwirft, öffnet ein weites Feld. Antworten wird man in der Ausstellung nicht finden. Darum geht es vielleicht auch gar nicht. Den konzeptuellen Beipackzettel kann man also getrost vergessen.

Die Qualität der Schau liegt darin, junge künstlerische Positionen zu vereinen, die sich mit Aspekten der digitalen Kultur auseinandersetzen und manchmal mit digitalen Medien als Material arbeiten. Kurator Nicolaus Schafhausen hat ein Gespür für künstlerische Positionen, die Zeitgeist und Wille zur Form miteinander vereinen. Zu sehen sind zum Beispiel Arbeiten des Neuseeländers Simon Denny. Er wird sein Heimatland bei der diesjährigen Biennale in Venedig vertreten. "Wenn man die Digitalisierung einfach auch als Material begreift, so ist der Umgang jüngerer Künstler mit diesen Techniken ein anderer Umgang als bei Künstlern, die in den 1960ern, oder 1970ern geboren sind. Dadurch verändern sich auch die Inhalte", so Kurator Nicolaus Schafhausen über den 32-jährigen Künstler Simon Denny.

Denny hat mit seinen medienanalytischen Arbeiten, die sich mit der Funktionsweise globaler Informationskanäle auseinandersetzen, in den vergangenen Jahren für Furore gesorgt. Im Museum Moderner Kunst im Wien hat er 2013 eine raumgreifende Installation gestaltet. Ausgangspunkt dieser Arbeit waren die kitschigen Artefakte einer Kunstsammlung, die Kim Dotcoms, ein IT-Unternehmers mit Hang zur Selbstdarstellung, gesammelt hatte.

Das Readymade des Informationszeitalters

In der Kunsthalle Wien macht Simone Denny nun die Hardware der IT-Revolution zum künstlerischen Material - etwa in dem er ein Computergehäuse in Plexiglas kleidet und daraus eine Art Readymade des Informationszeitalters macht. Ein Beitrag zu einer Ästhetik des Abwesenden, die vielleicht versucht, das unsichtbare, die Programme und Codes, die im Hintergrund der Benutzeroberflächen laufen, sichtbar zu machen. "The Future of Memory" vereint internationale Positionen, die sich künstlerisch der Digitalisierung unserer Kommunikation widmen.

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