Erinnerungen von Hilary Mantel

Von Geist und Geistern

Es ist eine eigentümliche, beklemmende und nicht ganz geheure Autobiografie, die Hilary Mantel hier vorlegt. Mit ihren historischen Romanen über das Zeitalter des Tudor-Königs Heinrich VIII. ist die englische Autorin und Kritikerin schlagartig zu Weltruhm und zu zwei Man-Booker-Preisen gekommen und wurde 2014 von der Queen als "Dame Hilary" in den Adelsstand erhoben. Sigrid Löffler hat "Von Geist und Geistern" gelesen und ist zu Gast im Studio.

Sigrid Löffler

"In der englischen Gegenwartsliteratur hat Hilary Mantel nicht ihresgleichen."

Mantels Autobiografie ähnelt keiner der üblichen Kindheitsgeschichten, in denen berühmte Schriftsteller auf ihre armseligen Anfänge und ihren Aufstieg aus der Arbeiterklasse zurückblicken. Die Welt dieser Autorin ist durchspukt von Geistern, von toten oder ungeborenen Wesenheiten, von Schatten, die als Komplementär-Erscheinungen die Lebenden begleiten - hinter jedem geborenen Mädchen steht als Gegenentwurf ein ungeborener Junge. In Mantels Welt verwischt das Ungesagte, nicht Sagbare alles Gesagte, "wie Mottenflügel, die um das Licht der Bedeutung flirren".

Was diese Erinnerungen besonders kennzeichnet, ist ihr völlig rationaler Umgang mit dem Irrationalen: Mit äußerster Wahrnehmungsschärfe beschreibt Hilary Mantel die undeutlichen Zonen, die sich jenseits der Ränder der Augenwinkel auftun, mit äußerster Klarheit schildert sie die Augenblicke, in denen alle Gewissheiten sich auflösen und das Unerklärliche sich durchsetzt. Dabei ist der Ton nüchtern und völlig unsentimental, der Witz ist stachelig und trocken, der Blick auf die eigene Person von distanzierter, bisweilen sarkastischer Sachlichkeit.

Service

Hilary Mantel, "Von Geist und Geistern", aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence, DuMont Verlag