Warum erwachsen werden?

8. April 2017, 21:58

Susan Neiman meint, um heute politisch mündige und moralisch handelnde Staatsbürger zu sein, brauchen wir eine Rückbesinnung auf die Philosophie der Aufklärung. Vor allem Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant spielen eine große Rolle in Neimans Argumentation.

Die Vernunft weiß, was richtig ist, gerade weil sie sich nicht im Faktischen erschöpft. Für Kant ist das Gute ein Ideal, das nicht der Wirklichkeit entstammt, das wir aber sehr wohl kennen und daher auch anstreben sollten. Was wir dazu bräuchten, sei vor allem Mut und Urteilskraft, sagt Neiman. Und ihre gute Nachricht ist, dass die Urteilskraft das einzige sei, was sich mit dem Alter immer weiter entwickle. Wachse doch mit der Erfahrung unsere Fähigkeit, die Welt und die Gegebenheiten kritisch zu beurteilen. Das geschieht allerdings nur gegen Widerstand, denn einerseits sei es bequemer, nicht nachdenken zu müssen, meint Neiman, und andererseits seien die Regierenden nicht wirklich an erwachsenen Bürgern interessiert, sondern eher an Untertanen, die man mit Konsumspielzeug gefügig halten könne.

Susan Neiman ist eine gute Erzählerin. Spielerisch bindet sie philosophisches Gedankengut von Platon bis Hannah Arendt mit Alltagsbeobachtungen zusammen. Oft geraten die lockeren Assoziationen aber auch sehr weitschweifig, und die Kritik an "den Herrschenden", die uns unmündig halten wollen, schrammt bisweilen hart am Stammtischniveau vorbei. Dennoch gibt das Buch wichtige Impulse. Die Frage, wie wir vom Sein zum Sollen, von der faktischen Welt zur Sittlichkeit gelangen können, ist von Neiman spannend wie ein Roman entwickelt. Zwar bleibt die Antwort vage. Aber die ernst gemeinte Aufforderung, endlich die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Fragen und Forderungen zu stellen, wirkt ermutigend wie ein "yes, we can!"