Krankheiten berechnen aus Gesundheitsdaten
Bei einem Arztbesuch fallen eine Menge Daten über die Patienten an: die Krankheitsgeschichte, aktuelle Symptome und Diagnosen und welche Medikamente verschrieben werden. Alle diese Informationen werden vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger erfasst. Wissenschaftler der Medizinischen Universität Wien haben diesen Datensatz über einen Zeitraum von zwei Jahren analysiert. Ihre Studie zeigt, dass viele Krankheitsrisiken sehr genau berechnet werden können. Das könnte wiederum neue Wege in der Gesundheitspolitik eröffnen.
8. April 2017, 21:58
dpa/A3390 Kay Nietfeld
Morgenjournal, 10.4.2015
Krankheiten können künftig möglicherweise besser vorhergesagt und bekämpft werden. Eine Studie der Medizinuni Wien zeigt, dass in vielen Fällen beim Auftreten einer Krankheit in späteren Jahren eine bestimmte andere Krankheit folgt, z.B.: wer zuckerkrank ist, hat ein zehnfach höheres Risiko, später unter Bluthochdruck zu leiden. Die Daten beruhen auf anonymisierten Diagnosen und Behandlungen aller Menschen in Österreich, die 2006 und 2007 beim Arzt oder im Spital waren.
Ob beim Hausarzt, beim Facharzt oder im Spital - der Hauptverband der Sozialversicherungsträger erfasst alle Diagnosen und Behandlungen von rund acht Millionen Österreicherinnen und Österreichern. Für die Jahre 2006 und 2007 haben der Physiker Stefan Thurner und seine Kollegen vom Institut für Wissenschaft Komplexer Systeme der Medizin Uni Wien diesen riesigen Datensatz analysiert. Sie untersuchten die österreichweite Verbreitung von mehr als 1.500 Krankheiten - alle Informationen waren komplett anonymisiert. Das Ergebnis ihrer Berechnungen ist ein Netzwerk von Erkrankungen, die statistisch miteinander verbunden sind bzw. einander bedingen: Was wir da gefunden haben ist, dass der individuelle Krankheitsverlauf sehr, sehr oft so verläuft, wie dieses Netzwerk anzeigt.
Das heißt, haben Patienten eine bestimmte Krankheit, dann werden sie in den nächsten Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit an ganz bestimmten Folgeerkrankungen leiden: Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass sich eine Erkrankung entwickelt, die nicht auf diesem Netzwerk ist. Und das hilft mir zu sagen, wie so ein typischer Krankheitsverlauf aussieht, wenn ich einmal ein paar Sachen habe.
Ein Beispiel ist Diabetes: Wer zuckerkrank ist, hat laut der Auswertung der Daten aller Österreicher ein zehnfach erhöhtes Risiko Bluthochdruck zu bekommen und schließlich unter Herzinsuffizienz zu leiden und ein dreifach erhöhtes Risiko in späterer Folge an Demenz zu erkranken. Für Diabetes konnten Stefan Thurner und seine Kollegen auch ein bis dato umstrittenes Risiko belegen: das, an Parkinson zu erkranken: Unser österreichischer Datensatz hier ist um den Faktor 50 so groß, wie die größte Studie, die dazu schon gemacht worden. Mit der wir jetzt mit Sicherheit sagen können, wie erhöht die Wahrscheinlichkeit ist Parkinson zu bekommen, wenn man vorher schon Diabetes hat.
Gesundheitspolitisch sind diese Studienergebnisse durchaus interessant. Sie könnten gerade im Bereich der Prävention die Planung von Maßnahme verbessern: Sagen wir die leicht zu behandelnde, auslösende Erkrankung kostet 10 Euro in der Prävention und die Behandlung von der komplizierteren 1.000 Euro, dann kann ich mir genau ausrechnen, wie effektiv im ökonomischen Sinn eine Präventionsmaßnahme ist.
Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger hat angekündigt, die Studienergebnisse nicht nur für die Planung von Präventionsmaßnahmen einsetzen zu wollen. Auch der Ausbau sogenannter Disease-Management-Programme, also Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen, könnte sich zukünftig an diesen mathematischen Modellen orientieren.