Griechenlands Rechtsextreme vor Gericht
Es ist einer der wichtigsten Prozesse in Griechenland seit dem Ende der Militärdiktatur 1974. In der knapp 700 Seiten starken Anklageschrift heißt es, die Neonazi-Partei Hryssi Avgi trage alle Züge einer kriminellen Vereinigung, und sie werde von der Fraktion im Parlament aus gesteuert. 69 Mitglieder und Sympathisanten sind angeklagt, es gibt mehr als 100 Verteidiger und rund 130 Zeugen. Der Prozess beginnt am Montag in Athen.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 18.4.2015
Aus Athen,
Eine Bürgerversammlung in Athen – es geht um den bevorstehenden Prozess gegen die Goldene Morgenröte, man möchte informieren und das Bewusstsein schärfen. Die Bürgergesellschaft hat zwar lange auf die Gefahr, die von der Neonazi-Partei ausgeht, hingewiesen. Die Politik aber hat jahrelang weggeschaut. Beziehungsweise: Sie hat die Neonazis billigend in Kauf genommen. Denn gerade in der Krise kamen sie dem politischen System vielfach gelegen, sagt der investigative Journalist Dimitris Psarras, einer der besten Kenner der griechischen Extremistenszene.
Bis zu den Festnahmen im Herbst 2013 gab es vor allem von Seiten der Konservativen die Bereitschaft, den Austausch mit der Goldenen Morgenröte lebendig zu halten. Bei manchen Gesetzen haben sie die Stimmen der Neonazis gebraucht. Und es gab auch immer wieder Andeutungen, dass eine „seriöse“ Goldene Morgenröte, wie sie sie nannten, als potentieller Koalitionspartner in Frage käme, sollte es von den Mehrheitsverhältnissen her nötig werden. Also eine Goldene Morgenröte, die auf magische Weise von der Gewalt und den Morden befreit wäre.
Eine erstaunliche Naivität, wenn man bedenkt, dass die Goldene Morgenröte den Umsturz der Demokratie und die Einrichtung eines faschistischen Einparteienstaats nach dem Vorbild Hitlerdeutschlands anstrebte. Doch es war die Zeit der ersten harten finanziellen Einschnitte und der großen Proteste in Griechenland. Es war die Zeit, als seriöse Journalisten vorschlugen, einzelne Artikel der Verfassung aufzuheben. Man könne den Ausnahmezustand ausrufen, hieß es in einer der führenden griechischen Tageszeitungen. Vielleicht sollte man das Streikrecht für einige Zeit aufheben und das Demonstrationsrecht einschränken, schrieb eine andere Edelfeder.
Und so wunderte sich kaum mehr einer, als vergangenes Jahr ein heimlich aufgenommenes Video auftauchte, das den Berater des damals amtierenden konservativen Premiers im trauten Gespräch mit einem der führenden Mitglieder der Neonazis zeigte. Schließlich waren vor allem die Konservativen – und in geringerem Maße auch die Sozialisten – aus historischen Gründen ein Sammelbecken auch für Rechtsextreme, erklärt der Journalist Dimitris Psarras. Und ganz nebenbei leistete die Goldene Morgenröte gute Dienste – und zwar der Polizei.
Bis zu den Festnahmen war das Motto: die Goldene Morgenröte ist extrem, aber sie hilft uns bei der Drecksarbeit. Sie geht gegen Krawallmacher bei Demonstrationen vor und tut die Dinge, die die Polizei nicht tun kann. Es gibt Videos, auf denen zu sehen ist, wie aus den Reihen der Sicherheitskräfte mit Messern bewaffnete Neonazis auftauchen. Und das geschah meiner Meinung nach durchaus in Kenntnis der wechselnden Innenminister.
Auch im Parlament bieten die Neonazis das volle Programm. Sie schmuggeln Waffen in den Plenarsaal, salutieren mit dem Hitlergruß und bezeichnen Migranten als Untermenschen. Die Festnahme erfolgt Ende 2013, als die Goldene Morgenröte die Hegemonie im rechten politischen Spektrum für sich beansprucht - und als erstmals ein Grieche Mordopfer wird. Die Neonazis haben die Polizei zu dem Zeitpunkt jedoch schon so tief infiltriert, dass Versetzungen nötig sind, um den Weg für die Festnahmen frei zu machen.
Auch wird vermutet, dass hinter der Partei finanzkräftige Oligarchen stehen. Für den anstehenden Prozess bedeutet das Rückendeckung und gute Verteidiger. Vertreter der griechischen Zivilgesellschaft haben daher das Dokumentationsprojekt goldendawn-watch im Internet gestartet.
Auch die Griechische Menschenrechtsliga ist mit dabei, vertreten durch ihren Vorsitzenden, Dimitris Hristopoulos, der sich seit Jahren wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigt. Die Justiz, so warnt der Politologe, wird das Problem nicht alleine lösen können. Denn das faschistische Gedankengut habe in den Jahren der Krise weite Teile der Gesellschaft erfasst:
Die Krise hat sozusagen die Sicherungen rausgehauen. Die extreme Armut hat dazu geführt, dass die demokratischen Institutionen und die bisherige politische Elite, also die zwei ehemaligen Volksparteien, ihre Glaubwürdigkeit völlig eingebüßt haben. Das heißt, egal, wie der Prozess ausgeht, die extreme Rechte steht schon bereit, um diese Parteien zu beerben.
Hier habe Europa eine historische Verantwortung, denn die amtierende Regierung sei die letzte Garantie für ein demokratisches Griechenland, glaubt Dimitris Christopoulos. Die vergangenen Jahre jedenfalls haben gezeigt, wie leicht ein Land abgleiten kann. Und so antwortet auch der Journalist Dimitris Psarras auf die Frage, wie nah Griechenland dem Faschismus gekommen sei, mit nur zwei Worten: gefährlich nah.