Von Mark Thompson
Geburtsurkunde - Die Geschichte von Danilo Kis
Der große jugoslawische Schriftsteller Danilo Kis (1935-1989) ist zu Unrecht fast vergessen. Das soll sich nun ändern: Nach "Familienzirkus - Die großen Romane und Erzählungen" liegt nun auch ein Portät des Sprachkünstlers auf Deutsch vor.
8. April 2017, 21:58

HANSER
"Eine faszinierende Einladung, das herausragende Werk von Danilo Kis wieder zu lesen."
Die Rezeptionsgeschichte von Danilo Kis' Werks ist eine absurd-tragische: Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre im deutschen Sprachraum entdeckt und gleich wieder vergessen - bis heute, bis zum 80. Geburtstag des bereits 1989 im Alter von nur 54 Jahren in Paris verstorbenen Schriftstellers. Der Hanser Verlag hat noch im Vorjahr alle großen Romane und Erzählungen von Kis in einem 900 Seiten starken Sammelband mit dem Titel "Familienzirkus" herausgebracht, und jetzt hat er eine Biografie ins Deutsche übersetzen lassen, die der britische Historiker und ausgewiesene Jugoslawienkenner Mark Thompson verfasst hat.
Thompson geht in seiner Biografie von dem 1983 von Danilo Kis verfassten autobiografischen Text "Geburtsurkunde" aus und schreibt eine Biografie, indem er von Sätzen oder Satzteilen dieses Textes ausgeht. Das zweite ins Auge springende Charakteristikum sind die acht "Zwischenspiele", deren gräuliche Papierfarbe vom übrigen Buch abgehoben ist und in denen die zentralen Werke von Danilo Kis analysiert werden. So sind Biografie und Werkinterpretation klar getrennt und werden gleichzeitig aufeinander bezogen - bei Kis, an dem Thompson gerade "der äußerst bewusste Umgang mit dem Rohmaterial seiner Fiktion" fasziniert, ein adäquates Verfahren.
Viel möchte man aus den ebenso behutsamen wie klaren Interpretationen Thompsons zitieren, denn selten hat ein Historiker einen so klaren Blick für den Eigenwert von Literatur trotz aller historischen Bedingtheiten. Er hat nicht nur die erste und lange ersehnte Biografie von Danilo Kis geschrieben - einem serbokroatisch schreibenden Autor mit montenegrinischem Vor- und ungarischem Familiennamen, der den Nationalismus früh diagnostizierte und ebenso hasste wie den Kommunismus. Mark Thompson hat Maßstäbe gesetzt, wie man den biografischen, zeit- und literaturgeschichtlichen Hintergrund eines literarischen Werkes darstellen und erzählen kann, ohne dass es dabei seine Einzigartigkeit verliert.
Service
Mark Thompson, "Geburtsurkunde - Die Geschichte von Danilo Kis", aus dem Englischen von Brigitte Döbert und Blanka Stipetic, Hanser Verlag