Serebrennikow inszeniert "Tote Seelen"

Das Moskauer Gogol-Zentrum gastiert mit einer Bühnenfassung von Nikolaj Gogols Roman bei den Wiener Festwochen. Regie führt Kirill Serebrennikow, der künstlerische Leiter des Zentrums. Er ist mit seinen Arbeitet den offiziellen Stellen in Russland ein Dorn im Auge.

Im Vorjahr hat Serebrennikow Olga Neuwirths Oper "American Lulu" inszeniert.

Mittagsjournal, 19.5.2015

So sieht er also aus, der Stachel im Fleisch der konservativen russischen Kulturpolitiker: verspiegelte Sonnenbrille, dunkler Bart, schwarze Baseballkappe und zwei goldene Ringe im linken Ohr. Kirill Serebrennikow, 45 Jahre, und rein optisch eher Gangster-Rapper als feinfühliger Theater- und Opernregisseur - zeigt in Wien seine Bearbeitung von Gogols Roman "Tote Seelen". Ein Stück, das ihn seit seiner Kindheit begleitet:

"Als Kind hab ich den Gogol-Text sogar illustriert und kleine Bilder dazu gemalt, und schon vor vielen Jahren habe ich beschlossen, den Roman auf die Bühne zu bringen. Ich wollte so viel wie möglich von der literarischen Qualität des Romans in den Theatertext einfließen zu lassen - in Stimme, Musik und Spiel", erklärt der Regisseur. "Und jetzt wo ich ein eigenes Theater habe, das passenderweise Gogol-Center heißt, habe ich die Möglichkeit, das endlich auf die Bühne zu bringen."

Das Publikum liebt das Stück über den betrügerischen Beamten Tschitschikow, der die toten Seelen - die toten Leibeigenen der Großgrundbesitzer - kauft. Die Vorstellungen sind ständig ausverkauft, es scheint das Stück zur Stunde - es geht um Scheinkapital, um menschliche Gier und Abgründe.

Kirill Serebrennikow: "Theater ist immer gegen Kapitalismus. Weil Theater immer für den Menschen ist. Wenn also der Kapitalismus gegen den Menschen ist, dann ist das Theater gegen den Kapitalismus. Ich mache Theater für jeden der kommt - gerade in Russland, wo wir so eine separierte Gesellschaft sind, ist das wichtig. Theater ist ein Platz der Einheit, wo alle gleich sind. Niemand wird bei uns gefragt: Wer bist du, bist du ein ehrlicher Mensch oder ein Dieb? Ein Theater für alle."

"Verletzung der Sitten & Propaganda"

So ein Platz ist das Gogol-Center geworden - ein freier Ort für zeitgenössische Kunst: Theater, Film, Musik, Diskussionen und Vorträge finden hier statt, es gibt ein kleines Café und ein Buchgeschäft. Der Chef des Moskauer Kulturdepartments steht für das liberale Russland und unterstützt das Gogol-Center. Von staatlicher Seite ist Serebrennikow aber immer wieder Repressionen ausgesetzt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt immer wieder, dem Center werden in anonymen Beschwerdebriefen Missachtung der russischen Kultur, Verletzung der Sitten oder Propaganda vorgeworfen. Im russischen Kulturminister habe man einen Gegner zeitgenössischer Kunst, so Serebrennikow.

"Vor einigen Tagen gab es in Moskau eine Ausstellung - vergleichbar mit jener zur ‚Entarteten Kunst‘ in den 1930er Jahren in München. Gezeigt wurden Bilder unserer Produktionen: vergrößerte Bilder von Nackten und dergleichen, darunter hat man geschrieben - ‚seht her, dafür wird UNSER Geld verwendet‘. Das ist doch wie im Faschismus!"

"Druck bewirkt, dass wir stärker werden"

Tatsächlich gibt es in Russland wieder Diskussionen über die Rechte von Regisseuren, über die Art der Interpretation und ob man Gogol nicht in historischen Kostümen spielen sollte. Es gibt ein Gesetz, dass das Fluchen in Theaterstücken, Medien und Filmen verbietet. Und weil Serebrennikow in einem geplanten Tschaikowsky-Film dessen Homosexualität erwähnen wollte, wurden ihm die staatlichen Gelder gestrichen.

"Sie sagen, diese Art von Kunst zerstöre die russische Seele. Aber auch das gehört zur russischen Seele, und auch unsere Avantgardisten - Malewitsch, Kandisnky, Meyerhold oder Stanislawsky, gerade weil sie Neues gewagt haben. Heute sind Experimente wieder verboten, dafür gibt es kein staatliches Geld. Ja, man kann von einer ökonomischen Zensur sprechen, aber der Druck bewirkt auch, dass wir stärker werden."

Die jüngste Arbeit von Kirill Serebrennikow - Gogols "Tote Seelen" ist von Mittwoch bis Samstag im Rahmen der Wiener Festwochen im Volkstheater zu sehen: auf Russisch, mit deutschen Übertiteln.

Service

Wiener Festwochen - Tote Seelen
Gogol Center (engl.)