Parlamentseröffnung in der Türkei
In der Türkei tritt am Dienstag das neue Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Die islamisch-konservative AKP von Präsident Tayyip Erdogan hat keine absolute Mehrheit mehr und braucht einen Koalitionspartner. Ob sie eine Regierung bilden kann, ist völlig offen. Erstmals in der Geschichte der Türkei wird eine pro-kurdische Partei mit 80 Abgeordneten im Parlament vertreten sein.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 23.6.2015
Noch keine Regierung gebildet
Ein Parlament, das sich zu seiner ersten Sitzung nach den Wahlen zusammenfindet, ohne dass klar ist, wie die künftige Regierung aussieht - das kommt öfters vor. Doch ist die Zusammensetzung der Volksvertretung in Ankara ein absolutes Novum. Die pro-kurdische HDP wird mit 80 Abgeordneten vertreten sein. Unter ihnen befindet sich auch Dilek Öcalan, die Nichte des inhaftierten PKK-Gründers Abdullah Öcalan. Für die rechtsgerichteten Nationalisten ein wahrer Albtraum. Der Name Öcalan, vertreten im türkischen Parlament, das ist für viele nur schwer zu verdauen.
Generell zeichnet die Parteien enormes gegenseitiges Misstrauen aus, was auch die Regierungsbildung so schwierig macht. Falls sich die politischen Gruppierungen im Parlament nicht rasch einigen können, dann werde es Neuwahlen geben, droht Erdogan. Er ignoriert dabei, dass er selbst einer der größten Stolpersteine für eine rasche Regierungsbildung ist.
Opposition gegen Erdogan an der Spitze
So ideologisch uneins sich die Opposition untereinander ist, eines vereint sie jedoch: Erdogan solle sich künftig aus dem politischen Tagesgeschäft heraushalten und sich an seine von der Verfassung vorgegebenen Kompetenzen halten. Sowohl für die Nationalisten als auch die sozialdemokratische Opposition ist dies die vielleicht wichtigste rote Linie in möglichen Koalitionsverhandlungen.
„Wir werden alles tun um eine Koalition zusammenzubringen“ sagt Numan Kurtulmus, einer der Stellvertreter des Premierministers von der AKP. Neuwahlen seien derzeit die unwahrscheinlichste Variante, sagt er. Kritiker aus der Opposition glauben jedoch, die Regierungspartei könnte die Koalitionsverhandlungen bewusst sabotieren und so Neuwahlen erzwingen, um doch noch eine absolute Mehrheit und damit Alleinregierung zu schaffen. Doch diese Strategie könnte auch nach hinten losgehen.
Wirtschaft fürchtet Instabilität
Als wahrscheinlichster Koalitionspartner gelten weiterhin die Nationalisten. Allerdings verlangen die den sofortigen Abbruch des Friedensprozesses mit den Kurden, was viele in der regierenden AKP nicht wollen und die Lage in den Kurdengebieten im Südosten des Landes destabilisieren könnte.
Einflussreiche Kreise in der türkischen Wirtschaft wünschen sich eine große Koalition aus AKP und den oppositionellen Sozialdemokraten. Sie warnen vor Instabilität und Chaos. Doch sind die ideologischen Gräben zwischen diesen beiden Parteien besonders tief.
Spätestens kommende Woche wird Erdogan dem von seiner Partei bisher gestellten Premierminister Ahmet Davutoglu wohl offiziell den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Schafft der innerhalb von 45 Tagen keine Vereinbarung, dann bleibt auch gemäß der türkischen Verfassung gemäß nur eines: Neuwahlen.