Autor E. L. Doctorow gestorben

Der US-amerikanische Autor E. L. Doctorow ist gestern im Alter von 84 Jahren in New York gestorben. Er galt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller der USA. Sein größter Erfolg "Ragtime" erzählt etwa über das pulsierende Leben im Big Apple am Beginn des 20. Jahrhunderts.

Der Roman wurde von Milos Forman verfilmt und kam auch als Broadway Musical heraus.

E.L. Doctorow

APA/EPA/RADIM BEZNOSKA

Kulturjournal, 22.7.2015

"Zu viele Fakten machen Schreiben unmöglich"

Mitte Juni James Salter und jetzt E. L. Doctorow: In den letzten Wochen haben die USA gleich zwei ihrer großen Schriftsteller verloren. Gegen den Begriff "historischer Schriftsteller" hat sich E. L. Doctorow zeitlebens gewehrt, einfach weil es ihm zuwider war, dass man seine Romane auf ihren historischen Wahrheitsgehalt hin abklopfte. Es gibt keine Fiktion oder Nicht-Fiktion, hat er einmal gemeint, sondern nur das Erzählen. Und dass zu viele Fakten das Schreiben unmöglich machen würden.

Überraschungen aus Fakten und Fiktion

Verliert man sich im wilden Erzählstrom von "Ragtime" wird schnell klar, was Doctorow damit meinte. Da taucht ein fiktiver schwarzer Jazzmusiker auf, der Gerechtigkeit einfordert und deshalb nach Kleists Michael Kohlhaas benannt ist, da tummeln sich aber auch Sigmund Freud, Henry Ford und der Entfesselungskünstler Harry Houdini. Ganz zwanglos und auf immer wieder überraschende Weise fügen sich Fakt und Fiktion da ineinander. Die Überraschung über den Verlauf der Geschichte, meinte Doctorow übrigens einmal, sei für ihn beim Schreiben genauso groß wie später für seine Leser.

Kindheit in der Bronx

E. L. Doctorow kam 1931 in New York zur Welt, die Großeltern waren russisch-jüdische Immigranten, seine Eltern Musiker. Seine wilde Kindheit in der Bronx ließ er in seinen Roman "Billy Bathgate" einfließen, die Geschichte eines Buben, der zum Handlanger eines Mafiabosses wird. New Yorks Straßen waren zweifellos die ersten Lehrmeister Doctorows, die anderen waren die Bücher seiner mittellosen aber musik- und literaturbegeisterten Eltern.

Das Vermächtnis eines Vorbilds

Hierzulande zählt Daniel Kehlmann zu den großen Bewunderern E. L. Doctorows. Durch ihn habe er erst begriffen, was die Stimme in einem Roman wirklich sei. Und ohne das Vorbild "Ragtime", so gab Kehlmann ganz offen zu, hätte er seinen Bestseller "Die Vermessung der Welt" niemals schreiben können.
Mitte August wird Doctorows letzter Roman auf Deutsch erscheinen und der scheint so etwas wie sein Vermächtnis zu sein. "In Andrews Kopf", so der Titel, erzählt nämlich von einem Mann, der immer weniger zwischen Fakt und Fiktion unterscheiden kann und sein Heil deshalb im Erzählen sucht.

Service

The New York Times - E. L. Doctorow, Literary Time Traveler Who Stirred the Past Into Fiction, Dies at 84