Andrea Grills Schmetterlingsroman

Andrea Grill gilt als Besonderheit in der österreichischen Literaturlandschaft, denn die Schriftstellerin verfolgt als Biologin gleichzeitig auch eine wissenschaftliche Karriere. In ihrem neuen Roman "Das Paradies des Doktor Caspari" gibt die Schmetterlingsforscherin Einblicke in ihre abenteuerliche Welt und in die Schwierigkeiten junger Wissenschaftler.

Ihre Hauptfigur ist eine geheimnisvolle Gestalt, die auf einer exotischen Insel lebt.

Morgenjournal, 8.8.2015

"Calyptra Lachryphragus" (Tränentrinker), so heißt die Schmetterlingsart, deren Erforschung sich Doktor Franz Wilhelm Caspari mit voller Leidenschaft widmet. Diesen als ausgestorben geltenden Falter hat der Zoologe auf einer Insel nach langer Suche aufgespürt; eine Erfahrung, die auch Andrea Grill bei einem aufregenden Forschungsaufenthalt gemacht hat: "Ich wusste nur, es gibt diese Art und bin dann nach Sardinien gefahren. Erst nach wochenlanger Suche ist es mir gelungen, sie zu finden. Für einen Nicht-Schmetterlingsforscher ist so etwas sicher nicht leicht nachvollziehbar, dass man da einfach ins Blaue hinein aufbricht ohne große Aussicht auf Erfolg."

Andrea Grill schlüpft in die Haut ihres besessenen Protagonisten und lässt ihn in einer mitreißenden Sprache von seinen Faltern erzählen. Erst nach mehreren Anläufen gelingt es Caspari, die anspruchsvollen, weil auf menschliche Tränen angewiesenen Tiere zu züchten. Jetzt flattern die ungewöhnlichen Tränentrinker zu hunderten durch das abgelegene Anwesen. "Ich habe mir die Art, um die es im Buch geht, ausgedacht," so Andrea Grill, "habe aber schon geschaut, dass sie in einen Genus gehört, den es gibt, und die sind eben blutsaugend oder tränensaugend und haben damit eine ganz andere Lebensweise als die, die man gemeinhin mit Schmetterlingen verbindet, die einfach nur von Blume zu Blume gaukeln."

Der Schauplatz der Geschichte ist die Insel Mangalemi. Die habe sie zwar, meint Andrea Grill, an einer Andamaneninsel angelehnt, ansonsten sei sie aber völlig fiktiv. Um die dortige Atmosphäre zu gestalten, habe es ihr sogar geholfen, nie dort gewesen zu sein.

Anders bei der Beschreibung des oft schwierigen Alltags eines Wissenschaftlers: Da habe sie ganz authentisch ihre eigenen, oft schmerzhaften Erfahrungen beschrieben. Denn gerade bei exotischen Forschungsgebieten würde heutzutage immer öfter die Frage im Raum stehen, warum derartige Projekte finanziert werden sollten. Dementsprechend groß sei deshalb auch der Druck, der auf den Wissenschaftlern lastet. Andrea Grill: "Es hat noch nie so viele Wissenschaftler gegeben wie heute, und das sorgt für eine große Konkurrenz. Die meisten Wissenschaftler gehören zwar einer Institution an, sind aber nicht wirklich angestellt, sondern müssen sich wie Freiberufler selbst um die Finanzierung ihrer Projekte kümmern. Das sorgt auch für einen ungeheuren Publikationsdruck. Heute haben Leute mit dreißig schon so viel publiziert wie frühere Wissenschaftler in ihrem ganzen Leben."

Keine graue Maus ist Doktor Caspari, sondern ein von wissenschaftlicher Neugier Getriebener, bei dem sich der Leser mehr und mehr die Frage stellt, wie weit dieser Fanatiker gehen würde, um an die lebensnotwendigen Tränen für seine Falter heranzukommen. Mit großer Lust am Erzählen entwirft Andrea Grill exotische Schauplätze und Figuren und mit der Virtuosität einer Krimiautorin hält sie die Spannung zwischen den Zeilen am Köcheln. Mit "Das Paradies des Doktor Caspari" liegt damit der seltene Glücksfall eines stimmungsvollen Sommerbuches mit Strandeignung bei gleichzeitig hohem literarischen Nährwert vor. Genauso bunt schillernd wie die Falter um die es geht.

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Andrea Grill, "Das Paradies des Doktor Caspari", Zsolnay