Türkei: Neuwahlen sorgen für Unsicherheit

In der Türkei wird voraussichtlich am 1. November neu gewählt. Morgen läuft die Frist zur Regierungsbildung aus. Die Koalitionsgespräche sind aber bereits offiziell gescheitert, und Präsident Erdogan hat Neuwahlen auch schon verkündet.

Zwei Männer vor türkischen Fahnen

Der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu (R) und der Parteiführer der Nationalpartei (MHP) Devlet Bahceli (L) im Rahmen ihrer gescheiterten Koalitionsverhandlungen.

APA/EPA/ADEM ALTAN/AFP

Der Präsident und seine islamisch-konservative AKP hoffen, beim neuerlichen Urnengang doch wieder die absolute Mehrheit zurückzuerobern, die man bei den Parlamentswahlen am 7. Juni verloren hat. Kritiker sagen, der Präsident habe die Koalitionsverhandlungen bewusst torpediert und von Anfang an auf Neuwahlen gesetzt.

Mittagsjournal, 22.8.2015

Es geht wie so oft in der Türkei schon wieder um einen Mann: Um Tayyip Erdogan, den Präsidenten. Er hofft, wie so oft, auf mehr Macht. Und dafür braucht er eine absolute Mehrheit für die von ihm gegründeten islamisch-konservative AKP. Die Wähler haben im Juni einen Fehler begangen und bei den regulären Wahlen der AKP die absolute Mehrheit genommen. Ein lästiger Koalitionspartner in der Regierung hätte die Machtambitionen des starken Mannes nur in Schranken weisen können. Und so lässt der Präsident einfach neu wählen und gibt dem Bürger die Chancen, seinen fatalen Irrtum zu korrigieren. So lautet die - zugegeben - zynische Lesart der Opposition. Doch auch viele kritische Bürger würden dies ähnlich sehen. Ob die Rechnung des Präsidenten aufgeht ist offen. Die türkischen Meinungsumfragen sind notorisch unzuverlässig. Auf den Straßen Istanbuls ist Unterschiedliches zu hören.

„Ich glaube nicht, dass die Türkei ihre Probleme mit Neuwahlen lösen kann. Wir haben vor kurzem schon gewählt und das Ergebnis war eindeutig“ sagt Mehmet, der für ein Sportgeschäft arbeitet.
„Wen auch immer ich im Freundeskreis frage, alle werden wieder so wählen wie am 7. Juni“ meint Frau Tamkan, eine Managerin.
„Ich glaube, dieses Mal werden die Wähler genauer nachdenken und entsprechend wählen“ sagt der Straßenhändler Herr Onder.

Fest steht: Die politische Unsicherheit drückt auf die wirtschaftliche Dynamik. Die türkische Lira befindet sich auf rasanter Talfahrt, dadurch steigen automatisch die Auslandsschulden vieler türkischer Unternehmer gefährlich an. Ausländische Investoren sind vorsichtig, die Zahl der Firmenübernahmen und Beteiligungen ist deutlich zurückgegangen. Die Aussichten sind trübe. Egal wie die Wahl im November letztlich ausgehen wird.

Die Türkei sitzt auf gravierenden politischen Problemen. Zwei Millionen syrische Flüchtlinge sind im Land, das Netzwerk des sogenannten islamischen Staates wurde zu spät als echte Bedrohung im eigenen Land. Vielleicht am wichtigsten: die jüngste Militärkampagne gegen die verbotene kurdische PKK hat alte Gräben wieder weit aufgerissen. Im Südosten des Landes, in den Kurdengebieten, nimmt die Gewalt rasant zu. Kritiker der Regierung meinen, man habe die Kampagne bewusst geschürt, um die Bevölkerung zu verunsichern und bei Neuwahlen hinter der regierenden AKP zu versammeln. Allerdings trägt auch die kurdische PKK einen großen Teil der Schuld für die eskalierende Gewalt.

Präsident Erdogan und seine Anhänger attackieren unterdessen die HDP, die pro-kurdische Oppositionspartei, die der Partei des Präsidenten die absolute Mehrheit bei den Wahlen im Juni gekostet hat. Die HDP wird in die Ecke kurdischer Terroristen gedrängt, obwohl die Parteiführung wiederholt zu Gewaltlosigkeit aufgerufen hat. Parteimitglieder können mit juristischer Verfolgung rechnen, was die Stimmung wohl weiter anheizen wird.

Die Szenarien für den Wahlausgang sind besorgniserregend: geht die Wahl so aus wie im Juni, dann ist wieder keine stabile Regierung in Sicht. Fliegt die pro-kurdische Opposition aus dem Parlament und erobert die AKP ihre absolute Mehrheit zurück, dann ist mit Unruhen und massiven Protesten zu rechnen. Von Kurden und Regierungsgegnern zugleich.