Roman von Andrea Grill

Das Paradies des Doktor Caspari

Um das "Das Paradies der Doktor Caspari" geht es im neuen Roman von Andrea Grill. Dieses Paradies hat viel mit der ursprünglichen Profession der Autorin zu tun, sie ist nämlich Biologin und hat über die Schmetterlinge Sardiniens dissertiert. Schmetterlinge spielen eine wichtige Rolle in ihrem Buch.

Zwei Schmetterlinge

APA/dpa/Roland Weihrauch

Flora und Fauna spielen nicht nur in den wissenschaftlichen Werken Andrea Grills eine bedeutende Rolle. Auch in der Lyrik und Prosa der Biologin zählen Tiere und Pflanzen zu den heimlichen Protagonisten. In „Das Paradies des Doktor Caspari“ beschäftigt sich Grill nun zum wiederholten Mal mit Schmetterlingen. Den Roman siedelt sie auf der fiktiven Insel Mangalemi im Indischen Ozean an.

Andrea Grill

"Dieser Roman ist etwas, vor dem ich mich lange gedrückt habe irgendwie, weil ich lieber über was anderes schreiben wollte, als das was mein Forschungsalltag beinhaltet."

Tränentrinkende Schmetterlinge mit der Gattungsbezeichnung „Calyptra lachryphagus“ sind der Forschungsgegenstand des Wiener Biologen Franz Wilhelm Caspari. Er nennt die vermeintlich ausgestorbene Art liebevoll „Mützchen“ und versucht sie in seinem Garten zu züchten. Das Aufwendigste dabei ist die Ernährung der empfindlichen Falter, denn um zu überleben benötigen sie Tränen von Menschen. Klingt erfunden, entspricht aber zumindest teilweise der Realität: Exotische Schmetterlinge, die sich an Krokodilstränen laben, sind bekannt, und auch menschliche Sekrete scheinen Schmetterlingen zu schmecken, erklärt Grill.

Doktor Caspari, alleinstehend, Mitte 30, ist Wissenschaftler mit Leidenschaft und als solcher hin- und hergerissen zwischen Abenteuerlust und schnödem Akademikeralltag. Wissenschaftler zu sein, sei ein Lebensstil und kein Beruf, von dem man sich an Wochenenden erholen könne, betont er immer wieder. Nichts ist ihm verhasster, als jene „9 to 5 – Forscher“, die sobald sie eine Professur erhalten, eine Familie gründen, die ihnen - Zitat - „zur unangestrengten, weil nicht extra zu planenden Freizeitunterhaltung dient.“ Seit zehn Jahren notiert er jedes gelegte Ei, misst jede Puppe, fotografiert Flügelmuster, protokolliert Geburtstag, Häutungstag, Gewicht, Schlupfdatum und so weiter. An die 40.000 Falter hat er bisher aufgezogen, sein Verhältnis zu ihnen beschreibt er als eine „Ehe im Sinne Dostojweskis: große Gefühle, endlose Missverständnisse, Enttäuschungen, Erklärungsversuche, Geldknappheit, und all das zu niemandes Nutzen.“

Tränen sind auf der Insel allerdings Mangelware. Und da der verschrobene Professor selbst nicht in der Lage ist zu weinen, ist Doktor Caspari auf das Leid anderer angewiesen, um seine Forschung voranzutreiben. Wenn er nicht seine Haushälterin mit rührseligen Geschichten in die gewünschte Emotionslage bringt, reist er oft mehrere hundert Kilometer um Begräbnissen beizuwohnen. Der Tod erleichtert ihm das Leben.

Auch der Selbstmord einer ehemaligen Studienkollegin lässt Doktor Caspari zu seinem eigenen Erstaunen völlig unberührt. Seine Methoden zur Tränengewinnung werden immer skrupelloser und schon bald ist der anfangs angesehene Forscher auf der Insel verschrien. Die Darstellung des „verrückten Professors“ mag an manchen Stellen überzogen wirken, entspreche aber durchaus ihrer eigenen Erfahrung, meint Andrea Grill.

Von seinen Mitmenschen spricht Caspari, aus dessen Perspektive der Roman großteils erzählt wird, als „Co-Menschen“. Kontakte pflegt er nur wenige, bevorzugt über E-Mail und auch das nur sporadisch. Die Schmetterlinge sind seine einzigen Freunde, auch wenn er weiß, dass der gutmütige Eindruck der Tiere täuscht. Mit ihrem einfachen Nervensystem können sie nichts fühlen, ist er überzeugt, wenn sie auch noch so sympathisch wirken. Die selbstgewählte Isolation des Wissenschaftlers sei ihr als Autorin nicht fremd, sagt Andrea Grill.

Durch den Zwang zu publizieren, schlittert Doktor Caspari allmählich in die Bredouille. Er, der mit großer Genauigkeit an jedem Gedanken feilt, noch bevor er ihn zu denken wagt, soll unentwegt veröffentlichen, auch wenn er nicht unbedingt etwas zu sagen hat. Dieses Missverhältnis im akademischen Betrieb bekommt er letzten Endes am eigenen Leib zu spüren.

Andrea Grill liefert mit „Das Paradies des Doktor Caspari“ einen humoristischen Einblick in die Welt der Wissenschaft, ein zärtliches Porträt eines Gelehrten, der sich zwischen Abenteuerlust und Publikationszwang, Behördenauflagen und Forscherromantik aufreibt. Dabei geht sie mit der Behutsamkeit und Geduld einer Schmetterlingsforscherin vor, spinnt nüchterne naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu feinsinnigen, poetischen Gedanken. In letzter Zeit passiere es hin und wieder, dass ihre Fachartikel als „zu journalistisch“ abgelehnt werden, erzählt Andrea Grill. Zum Glück, möchte man anmerken, sofern sie dann mehr Zeit findet, um spannende Romane wie diesen zu schreiben.

Service

Andrea Grill, "Das Paradies des Doktor Caspari", Roman, Zsolnay Verlag