VW-Krisensitzung in Wolfsburg

Der Abgasskandal im Hause Volkswagen bringt das oberste Kontrollgremium des Konzerns in Fahrt. Offenbar im Stammwerk Wolfsburg berät das Präsidium des Aufsichtsrates die Konsequenzen aus dem Desaster - ausgelöst durch manipulierte Messungen beim Schadstoffausstoß von Dieselmotoren in den USA. Mittlerweile ist klar, dass in Summe mehr als elf Millionen Fahrzeuge betroffen sind. Der Börsenwert von Europas größtem Autobauer rast gleichsam ungebremst nach unten, der Unternehmenswert hat sich annähernd halbiert.

Mittagsjournal, 23.9.2015

Kampf um Kunden

In dem Skandal warten weiter viele Fragen auf eine Antwort. In der gesamten Branche herrscht ein regelrechter Kampf um Kunden. Hat Volkswagen deswegen in den USA zu illegalen Mittel gegriffen?

Der Verdacht drängt sich zumindest auf. Gerade auf dem US - amerikanischen Markt drängeln sich die Anbieter. Die drei großen US Firmen General Motors, Ford und Chrysler sind wieder am Start. Hinzu kommen die japanischen Hersteller mit Toyota an der Spitze. Beim Buhlen um Neukunden lassen die Hersteller und Händler wenig aus - etwa umfangreiche Rabattaktionen und Gratisleistungen. Volkswagen mit seiner Kernmarke VW ist da besonders gefordert. Der Konzern braucht den wichtigsten Automarkt der Welt, um Absatzrückgänge in Europa, China oder Südamerika zu kompensieren. Da die Modelle bisher nicht den Geschmack der Amerikaner getroffen haben, musste das Angebot anders attraktiver werden - zum einen über schadstoff- und wartungsarmearme Motoren, zum anderen über geringe Anschaffungskosten.

Die niedrigen Verkaufspreise, nicht nur in den USA, sind Folge von diversen Sparprogrammen, die sich die Hersteller verordnet haben. Die Rendite pro Fahrzeug der Klein- und Mittelklasse liegt, so Experten, bei maximal fünf Prozent. Auf welche Weise reduzieren die Autobauer die Kosten?

Das fängt bei Forschung und Entwicklung an. Dann haben wir die Standardisierung der Produktion, viele baugleiche Teile für verschiedene Modelle und dann auch noch den Versuch, über mehr Automatisierung sowie Lohnkosten den Preis niedrig zu halten. Um neue Modelle verkaufen zu können, sollten sie mehr bieten, aber eben nicht teurer sein. Was für die Hersteller gilt noch mehr für die zahlreichen Zulieferfirmen. Um an Aufträge zu kommen wird hier um Cent-Beträge weit hinter dem Komma verhandelt.

Mit welchen Konsequenzen für die Firmen, die selten Großbetriebe sind, wie Magna, Bosch oder Continental?

Da haben sie im Grunde zwei Möglichkeiten - erstens: sie spielen das Spiel der Konzerne mit, die mittlerweile auch Einkaufsgemeinschaften bilden. Um günstiger als andere fertigen zu können folgen sie außerdem den Autobauern, die Werke in Asien oder Mexiko errichten. Zweitens - die Zulieferer schaffen es, dass die Hersteller nicht an ihnen vorbei können, etwa durch Innovationen - zum Beispiel im Bereich Antrieb, Werkstoffe oder Elektronik. Dass bei einem sehr hohen Kostendruck die Qualität leidet, die Modelle fehleranfällig werden - das zeigen die diversen Rückholaktionen der Hersteller.

Kommen wir nun zum Volkswagen Konzern selbst. Zeichnet sich schon ab, welche Richtung der Aufsichtsrat einschlagen wird?

Da hilft nur noch die Offensive, um den immensen Schaden wenigstens in Grenzen zu halten. VW hat da auch schon in den USA Erfahrung - Probleme bei Audi und er Kernmarke Volkswagen haben vor 20, 30 Jahren die Modelle lange zu Ladenhütern gemacht. Der Skandal jetzt bringt den Konzern gewaltig ins Schleudern - vieles steht auf dem Prüfstand - das Führungspersonal, die Hierarchie, die interne Kontrolle oder grundsätzlich das Konstrukt des Konzerns mit seinen bald 13 Marken und weltweit 600 000 Mitarbeitern.

Sind die Tage von Martin Winterkorn an der Spitze gezählt?

Die Nachfolgefrage wird sicher gestellt - zumindest von der Politik, die bei VW traditionell eine starke Rolle spielt. Das Land Niedersachsen hält gut 20 Prozent, es braucht die Dividende für den Haushalt und hat großes Interesse daran, dass viele Jobs erhalten bleiben. Winterkorn dürfte trotzdem noch an der Spitze bleiben - er hat den Rückhalt der starken wie einflussreichen Metallergewerkschaft und damit des Betriebsrates. Und er hat offenbar auch noch den Rückhalt des Großaktionärs Familie Porsche. Aber nach diesem Skandal um manipulierte Abgaswerte ist bei Europas größtem Autobauer alles möglich.