Sprechtexte und Gedichte von Nora Gomringer
Mein Gedicht fragt nicht lange reloaded
In diesem Jahr hat Nora Gomringer den Bachmann-Preis mit einer metafiktionalen Erzählung gewonnen. Einen Roman hat sie noch nicht geschrieben - zu beschäftigt ist sie mit ihrer Arbeit als Leiterin eines Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg. Für Gedichte hingegen hat die schweizerisch-deutsche Autorin bislang Zeit gefunden. Ihr neuer Lyrikband vereint nun vier ihrer vergriffenen Gedichtbände.
8. April 2017, 21:58

Voland & Quist
"Mein Gedicht fragt nicht lange reloaded" ist die überarbeitete, in iherer Zusammenstellung veränderten Neuauflage eines vor vier Jahren erschienenen Sammelbandes, der vier, zwischen 2002 und 2010 publizierte Bände enthält - "Silbentrennung", "Sag doch mal was zur Nacht", die "Klimaforschung" und "Nachrichten aus der Luft" - und mehr als 200 Gedichte präsentiert: eine beeindruckende Demonstration der thematischen Bandbreite, stilistischen Vielfalt und formalen Meisterschaft von Nora Gomringer, die nicht nur als Autorin, sondern auch als glänzende Interpretin ihrer Texte Furore machte. So wie zuletzt beim Klagenfurter Bachmann-Preis - und zuvor bei vielen Auftritten bei Lyrik-Festivals und Poetry Slams.
Service
Nora Gomringer, "Mein Gedicht fragt nicht lange reloaded", Buch und CD, Voland & Quist
Nora Gomringer, "Morbus", Mit Illustrationen von Reimar Limmer, Buch und CD, Voland & Quist
Villa Concordia
Nora Gomringer
"Ein Nora-Gomringer-Gedicht generell, das ist vielleicht ein ungewöhnlich humorvolles Textlein im Vergleich zur Gesamtsituation der Lyrik, die dieses Textlein sonst so umgibt."
Klare Dramaturgie, prägnanter Aufbau, aber auch überraschende Wendungen und ironische Volten sind es, was viele Gedichte auszeichnet. Metaphorische Verschwurbeltheit und geheimnisvolle Chiffrierungen gehören dagegen nicht zu Gomringers Repertoire. Ihre Gedichte und Sprechtexte würden sich ganz wesentlich vom Hören speisen, sagt die Autorin, vom Ablauschen und Wiedergeben des im Alltag, auf Reisen, im Vorübergehen Aufgeschnappten.
Nora Gomringers Band enthält Reise- und Naturgedichte, Momentaufnahmen aus dem Alltag und Reverenzen an Dichterkollegen wie Michael Lentz oder, besonders berührend, Friederike Mayröcker. Dabei gibt es nicht nur kurze, pointierte, bildstarke Texte voller Schalk und Scharfsinn, sondern auch längere rhapsodische, die oft mit den Mitteln der Aufzählung und Wiederholung arbeiten. Es gibt politische Gedichte, zum Beispiel über den Holocaust, in denen die Opfer, aber auch die Mitläufer des Systems die Stimme erheben. Und es gibt viel schöne Liebeslyrik, die in keine der üblichen Kitschfallen tappt. Und immer wieder gibt es Gedichte, die den Literaturbetrieb selbst aufs Korn nehmen, seine Marotten, Koketterien und Eitelkeiten und das hochtönende Gerede von Sprachzauber und Sprachmagie.
Zitat
Ich mache jetzt etwas mit der Sprache
Werde jetzt etwas ganz Bestimmtes, Besonderes mit der Sprache machen
Da werden Sie staunen
Ich werde etwas ganz Erstaunliches machen mit der Sprache
Sie werden Ihren Partner an der Hand fassen wollen so ganz und gar erstaunlich
Wird das sein
...
(aus "Ich werde etwas mit der Sprache machen")
Parallel zu "Mein Gedicht fragt nicht lange reloaded" ist noch ein anderer, deutlich schmälerer Band erschienen: "Morbus" ist Mittelteil einer Trilogie, die mit den "Monster Poems" begann und mit einem Band, der "Mode" heißen soll, abgeschlossen wird: Monster, Mode und, wie in "Morbus", Krankheiten seien Phänomene, die eine alltägliche und zugleich auch eine dunkle, eine abgründige Seite hätten, sagt Gomringer.
Nora Gomringer
"Gerade bei den Krankheiten ist es ja so, dass sie uns Menschen so unglaublich viel erzählen von unserer Existenz auf der Erde. Und so eine Krankheit mal selbst sprechen zu lassen als Verursacher, aber auch als System, als sehr erfolgreiches System, das ist eigentlich hoch anziehend."
In "Morbus" präsentiert Nora Gomringer zu 25 Krankheiten 25 Gedichte, die abstrakten Syndromen eine Geschichte, eine Stimme, ein Gesicht verleihen, der Polioerkrankung das von Franklin D. Roosevelt zum Beispiel und dem Wahnsinn das des Serienmörders Haarmann. Gomringer spannt den Bogen von Adipositas bis Typhus, von Ebola bis Spanische Grippe.