Tippi Hedren im Interview

"Hitchcock hat meine Karriere zerstört", sagt Tippi Hedren. Die 85-jährige Schauspielerin hat mit dem obsessiven Meisterregisseur Filme wie "Die Vögel" und "Marnie" gedreht. Derzeit ist Hedren zu Gast bei der Viennale. Im "Kulturjournal" spricht sie über ihre filmische Vergangenheit, ihre Leidenschaft für Raubkatzen und ihre wechselhaften Erfahrungen mit Alfred Hitchcock.

Tippi Hedren

AP/JOHN SHEARER

Kulturjournal, 29.10.2015

Alfred Hitchcock gilt nach wie vor als Meister der Spannung, der wie kein anderer Angst und Schrecken auf die Leinwand gebracht hat. Dass er auch abseits des Kinos dämonisch sein konnte, davon weiß die Schauspiel-Ikone Tippi Hedren ein Lied zu singen - war doch das Gespann Hitchcock/Hedren eine Zeit lang überaus erfolgreich. In "Die Vögel" spielte Hedren eine junge Frau, die von Raben, Krähen und Möwen schikaniert wird und lieferte damit einen Kassenerfolg ab. Und in Hitchcocks nachfolgendem Film "Marnie" stellte sie eine geheimnisvolle Kleptomanin dar, die unter einem rätselhaften Kindheitstrauma leidet.

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Die Viennale-Galavorstellung mit Alfred Hitchcocks Psychothriller "Marnie" läuft heute Abend um 20 Uhr im Wiener Gartenbaukino. Tippi Hedren wird anwesend sein und über ihre Erfahrungen mit dem obsessiven Meisterregisseur erzählen. Außerdem ist Hedren am 30. und 31. Oktober bei den beiden Vorstellungen von "Die Vögel" anwesend.

Viennale - Marnie
Viennale - The Birds

Tippi Hedren, 2012 kam ein Spielfilm heraus, in dem es um ihr problematisches Verhältnis zu Alfred Hitchcock ging. Waren Sie in die Entstehung des Films eingebunden?

Tippi Hedren: Sie brauchten meine Erlaubnis, um den Film überhaupt machen zu können. Ich war aber sehr froh, dass ich schon ins Drehbuchschreiben eingebunden war, denn ich wollte, dass diese Geschichte ehrlich und authentisch erzählt wird.

Und wie waren Sie dann mit dem fertigen Film und vor allem mit der Darstellung Alfred Hitchcocks zufrieden?

Die war großartig. Der britische Schauspieler Toby Jones hat Hitchcock unglaublich genau rübergebracht. Ich habe den Film mit meiner Tochter Melanie Griffith gesehen und als Toby Jones zum ersten Mal den Mund aufmachte, habe ich ihren Arm so fest gepackt, dass sie wahrscheinlich heute noch einen blauen Fleck davon hat. Einfach, weil Toby Hitchcocks Tonfall so genau getroffen hat.

Ich habe diesen Leinwand-Hitchcock als unglaublich sadistische Figur wahrgenommen, war der echte Hitchcock wirklich so schlimm?

Und wie. Und ich war nicht die erste Schauspielerin, die darunter zu leiden hatte. Ich war nur die erste, die sich dagegen gewehrt und nicht mehr mit ihm gearbeitet hat. Wie er plötzlich sein wahres Gesicht gezeigt hat, war das eine unglaublich tragische Erfahrung für mich, gerade, weil wir anfangs so wunderbar harmoniert haben. Ich konnte mit einem der größten Regisseure und Filmkünstler der damaligen Zeit arbeiten, ein Traumjob wie man ihn sich nicht besser aussuchen konnte. Und dann begann er seine seltsame Obsession immer offener zu zeigen und mich nicht mehr aus den Augen zu lassen. Egal, was er tat und mit wem er sprach, sein Blick war immer auf mich gerichtet. Seine Überwachung setzte sich schließlich in mein Privatleben fort und so wurde aus dieser anfänglichen Marotte ein unerträglicher Zustand.

Manche Regisseure bedienen sich solcher oft brutaler Tricks, um alles aus ihren Schauspielern herauszuholen. Kann das nicht der Grund für Hitchcocks Verhalten gewesen sein?

Er war dämonisch, aber das zielte überhaupt nicht darauf ab, in mir irgendwelche intensiven Reaktionen für die Leinwand auszulösen. Wir hatten "Die Vögel" schon fertig und "Marnie" war auch schon zu drei Vierteln abgedreht, als sich sein Verhalten plötzlich auf eine Weise verändert hat, dass ich mich nicht mehr damit abfinden konnte.

Gleichzeitig war Hitchcock aber auch ein genialer Regisseur, Sie haben ja auch immer wieder betont, wie viel Sie ihm künstlerisch verdanken. Wie hat er eigentlich bei Marnie gemeinsam mit Ihnen die Figur dieser schwer traumatisierten Frau erarbeitet?

Ich habe mich sehr gründlich auf die Rolle vorbereitet und zahlreiche Gespräche mit Psychiatern und Psychologen geführt. Damals war ja noch nicht allgemein bekannt, wie drastisch sich kindliche Traumata auf das gesamte Leben auswirken können. "Marnie" war deshalb auch kein Erfolg damals, weil das Publikum den Film nicht verstand. Dass der Film floppte, hatte aber auch noch einen anderen Grund. Weil ich aus unserem Vertrag ausgestiegen war, weigerte sich Hitchcock, den Film zu promoten. Ich hatte ihm damals nämlich ins Gesicht gesagt, dass er mich nicht besitzen und ich auf seine Avancen niemals eingehen würde.

Aus einem anderen Grund sehr intensiv muss es beim Dreh zu "Die Vögel" zugegangen sein. Wie ist denn diese eine Szene entstanden, in der sie auf dem Dachboden von den Vögeln attackiert werden?

Als ich das Drehbuch las, fragte ich Hitchcock natürlich, wie er sich bestimmte Szenen vorstellte, und da interessierte es mich vor allem, wie er die Dachbodenszene umsetzen wollte. Kein Problem, meinte er damals, da verwenden wir mechanische Vogelattrappen. Ich habe mir weiter keine Gedanken darüber gemacht, aber am Morgen bevor wir diese Szene in Angriff nahmen, tauchte plötzlich der Regieassistent in meiner Garderobe auf und schaffte es nicht, mir in die Augen zu sehen. Schließlich stieß er hervor, dass die Vogelattrappen nicht funktionieren würden und wir mit echten Vögeln drehen müssten. Als ich schließlich aufs Set kam, war da nichts von irgendwelchen Attrappen zu sehen, weil sie das in Wahrheit nie vorgehabt hatten. Dafür stand da ein Käfig und in den musste ich hinein und dann ließen die Tiertrainer eine Woche lang Raben, Möwen und Tauben auf mich los.

Die Angst, die man in ihren Augen sieht, ist also zu guten Teilen echt?

Ja, das war ziemlich authentisch, ein bisschen Schauspielerei war natürlich auch dabei. Am Montagmorgen ging es los und am Freitagnachmittag war ich mit meinen Nerven am Ende. Ein Vogel hockte auf meiner Schulter und pickte mir plötzlich haarscharf an meinem Auge vorbei und da brach ich dann schreiend zusammen.

Nachdem Sie aus dem Vertrag ausgestiegen waren, ließ Hitchcock sie mit keinem anderen Regisseur drehen. Wie war die Situation damals?

Es war tragisch für mich. Er zahlte mir zwar weiter meine 600 Dollar Wochengage, aber nach den Vögeln und Marnie war ich ungeheuer gefragt. Die konkreten Anfragen anderer Regisseure bekam ich aber gar nicht mit, weil Hitchcock sie nicht durchließ. Seine Standardantwort, mit der er meiner Karriere damals den Todesstoß versetzte, lautete einfach, "sie steht nicht zur Verfügung".

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