"Arabian Nights" - Filmtriologie von Miguel Gomes

Wie kann man einer Finanzkrise künstlerisch etwas entgegenhalten, das der Komplexität der politischen und sozialen Realität, den Folgen für Staat und Gesellschaft gerecht werden kann? Der portugiesische Filemacher Miguel Gomes hat seine Antwort auf diese Frage in einer Filmtrilogie gefunden.

Formal sprengt sie jeden Rahmen eines konventionellen Kinos: Sechseinhalb Stunden dauern die drei Teile seiner "Arabian Nights" insgesamt, in denen er angelehnt an die Märchen aus "1001 Nacht" zwischen Dokument und Fiktion von den Entwicklungen in seinem Heimatland Portugal über einen Zeitraum von zwölf Monaten erzählt.

Kulturjournal, 4.11.2015

Spätestens seit seinem umjubelten Filmdrama "Tabu" (2012) wird Gomes als einer der kreativsten und originellsten Köpfe des europäischen Autorenkinos gehandelt, und nach der Premiere von "Arabian Nights" im Rahmen der heurigen Filmfestspiele von Cannes, feierten viele Kritiker seine Trilogie bereits als eines der Kinohighlights des Jahres. Zuletzt war "Arabian Nights" im Rahmen der Viennale zu sehen, und in den kommenden Wochen starten die drei Filme auch regulär in den heimischen Kinos: Gestaffelt - ein Film pro Woche - präsentiert sie das Wiener Stadtkino.

Es ist ein monströses Kinokonstrukt, ein poetisches Epos, in dem der europäischen Finanzkrise und dem Spardiktat nach der Schuldenpolitik eine fantastisch wuchernde Geschichtensammlung entgegengehalten wird. Die Verzweiflung wird da in Gelächter aufgelöst, die große Krise an persönlichen Geschichten festgemacht. Privates und Öffentliches werden bis zur Unkenntlichkeit durchmischt und das Dokumentarische mit dem Fundus an surrealen Ideen des Geschichtenerzählers Miguel Gomes konfrontiert.

Da wird von der Schließung einer Werft und Massenentlassungen berichtet, dann die Geschichte eines Hahns erzählt, der vor Gericht steht, weil er zu früh gekräht hat. Die versammelten Politiker und Vertreter der europäischen Finanztroika werden erst am Restauranttisch als geistig zurückgebliebene, zynische Hexen beschimpft, bevor sie später im Film mit Dauererektion auf einer Terrasse sitzen. Und schließlich wäre da noch das Tagebuch eines unentschlossenen Filmemachers, der sein Set fluchtartig verlässt.

Hauptfigur Gemeinschaft

Um dann zu erklären, dass es unmöglich sei, schöne und tiefsinnige Geschichten zu erzählen und zugleich die derzeitige Situation Portugals nachzuzeichnen. Zumindest nicht in einem Film. Der unentschlossene Filmemacher wird von Miguel Gomes selbst gespielt. Und er hat nicht einen sondern drei Filme gedreht: "Jeder dieser Filme beginnt mit einer Einblendung, die davon erzählt, wie die Portugiesen durch die Finanzkrise verarmt sind. Sie sind fast - und ich unterstreiche dieses Wort fast- ärmer als vorher. Um das durchzustehen, müssen wir glaube ich wieder anfangen, uns Geschichten zu erzählen. Und um Geschichten über die Gesellschaft eines Landes erzählen zu können, die glaubhaft sind, muss die Hauptfigur die Gemeinschaft sein. Deswegen brauchte ich drei Filme - einer war nicht genug!"

In einer Traumsequenz explodiert ein gestrandeter Wal am Strand - ein absurdes wie passendes Bild. Nicht nur für die Komplexität der politischen und sozialen Realität, sondern auch für die Fülle an Ideen, die Gomes hier auf die Leinwand schleudert - zwischen Poesie und Heavy Metal.

2013, als die EU und die Vertreter der Finanzmärkte der portugiesischen Regierung nahelegten, die Ausgaben zu kürzen, den Sozialstaat zu drosseln und den Weg der Austeritätspolitik zu gehen, zog Miguel Gomes auf der Suche nach Geschichten los: "Ich wusste oft nicht, was ich in der kommenden Woche machen würde. Das Ganze hat 14 Monate gedauert. Wir haben natürlich nicht jeden Tag gedreht. Aber 14 Monate lang war ein ganzes Team damit beschäftigt, aus dem Material, das sich ansammelte, eine Fiktion zu bauen: Scripts zu schreiben, Schauspieler zu engagieren, Dekors auszusuchen und zu drehen." "Rock 'n' Roll" meint da etwa Hauptdarstellerin Joana de Verona über die Stimmung am Set: während der Proben habe sie noch nicht einmal gewusst, ob sie ein oder zwei Rollen spielen würde; es sei eben ein sehr offenes Projekt gewesen.

Meer aus Geschichten und Eindrücken

Wie gemütliche Inseln platziert Gomes dabei immer wieder Musikstrecken in sein Meer aus Geschichten und Eindrücken. Und obwohl die drei Filme irgendwie eine Einheit bilden, hat doch jeder Einzelne seinen ganz eigenen Erzählfluss. Wie ein großes Gesellschaftspanorama fächert sich da der erste und wohl vielschichtigste Teil auf, in dem die Misere des verspekulierten Landes greifbar, und die Absurdität der Krisenpolitik ausgestellt wird - unterschiedlichste Milieus und Atmosphären erkundet werden. Viel nüchterner erzählt ist hingegen Teil zwei, in dem immer wieder die Frage der Schuld gestellt wird.

Eine Richterin schreit da ihre Verzweiflung in das Auditorium, weil jeder in diesem Land gleichermaßen schuldig und unschuldig zu sein scheint. Das Fressen kommt vor der Moral, in einer Gesellschaft die in Zeiten der Krise ihre Unschuld zu verlieren droht. Poetisch dann der Abschluss mit der Geschichte eines Hundes, der mit seinen wechselnden Besitzern in die ganz unterschiedlichen Schicksale der Bewohner eines Arbeiterviertels einführt. Und zwischen Musikfilm und den unendlichen Beobachtungen rund um eine Gruppe von Männern, die Singvögel trainiert, statt gegen die herrschenden Verhältnisse aufzustehen, kreist dann Teil drei: jener Film mit der positivsten Grundstimmung, aber in seiner Dramaturgie auch der zerfahrenste der Trilogie.

Das Publikum wird zum König

Mit dabei auf der Reise durch seine Heimat, hatte Gomes die Bände des Klassikers "1001 Nacht". Und es ist Scheherazade - ihr König vergisst das Töten nur angesichts spannender Geschichten -, die durch Gomes' "Arabische Nächte" führt, mit dem Publikum, das gewissermaßen zum König wird.

Es sei ihm darum gegangen, ein künstliches Gerüst zu bauen, das die Zugänge zur Realität tragen kann, so der 43-jährige Regisseur: "Es sind sehr unterschiedliche Register, die ich in meinen Filmen ziehe. (…) es ging mir hier darum, die Realität mit den Mitteln der Fiktion zu erzählen und zu bearbeiten. Deshalb wollte ich zwischendurch auch immer wieder Menschen in Kostümen: das Gespielte ausstellen und zugleich die Freiheit der Fiktion auf die Spitze treiben! Bagdad liegt bei mir am Meer, weil wir es in Marseille gedreht haben. Fiktion ist eine Lüge, aber eine gute Lüge. Und eine gute Lüge ist eine Lüge, die sich nicht versteckt!"

Theatralik fügt sich da an journalistische Recherche, Dokumentarisches an archaische Geschichten. Gomes beobachtet Fischer am Strand, und mit einem Schwenk richtet er den Blick in die andere Richtung, wechselt ohne Schnitt von der Beobachtung der Wirklichkeit in die Erzählung eines Märchens. Auch wenn das Dauererzählen des Miguel Gomes immer wieder seine Längen hat - seine arabischen Nächte dauern sechseinhalb Stunden -, schafft er es mit dieser Trilogie, einen unmittelbaren Eindruck von Portugal und der portugiesischen Gesellschaft zu vermitteln, indem er der sozialen Realität den Spiegel des Surrealen und des Metaphorischen vorhält.

Aller Krisenstimmung zum Trotz entlässt er sein Publikum am Ende mit einem positiven Gefühl aus dem Kino. Würde der portugiesische Staat seine Schulden mit Geschichten zurückzahlen können, ein Großteil wäre mit dieser Trilogie wohl beglichen.

Service

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