Von Pulitzerpreisträger Edward Osborne Wilson

Der Sinn des menschlichen Lebens

Wenn ein schmales Buch den bombastischen Titel "Der Sinn des menschlichen Lebens" trägt, empfiehlt es sich, skeptisch zu sein. Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird man – wenn überhaupt – so leicht wohl nicht in den Griff bekommen. Oder doch? Edward O. Wilson nähert sich der Sache in der Manier eines Geschichten erzählenden älteren Herren, der auf ein langes Forscherleben zurückblicken kann.

Kontext, 20.11.2015

Dieses Erzählen beherrscht er ausgezeichnet. Eine lohnende Lektüre ist das Buch vor allem wegen der phantastischen Dinge, die Wilson über Mikroorganismen, Sternensysteme, Wahrnehmungsweisen anderer Spezies, mögliche Außerirdische, und natürlich über sein Spezialgebiet, die Ameisen, zu erzählen weiß.

Über das ganze Buch hinweg betont Wilson, dass es nötig sei, Geistes- und Naturwissenschaften endlich wieder zu verbinden. Die Geisteswissenschaften seien wichtig, um unsere kulturelle Entwicklung zu beschreiben, die aber letzten Endes in der biologischen Evolution wurzele und nur aus dieser heraus zu erklären sei. Wilson spricht auch von einer "Naturgeschichte der Kultur".

Sicher hat der Autor Recht damit, dass es mehr Brücken zwischen den Disziplinen und ihren Denkweisen geben müsste. Aber ob die Geisteswissenschaften bereit wären, der Evolutionsbiologie den ersten Platz einzuräumen? Wohl kaum. Denn aus der Evolution des Homo Sapiens kann man zwar vieles erklären, vom Hooliganismus bis zur Mutterliebe, aber leider doch nur in einem recht flachen Sinn des Wortes "Sinn". Die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie sind – wie Wilsons Buch selbst – in den Einzelgeschichten sehr lehrreich, als alleiniges Welterklärungsmodell aber doch eher unbefriedigend.

Service

E.O. Wilson, "Der Sinn des menschlichen Lebens", Beck Verlag