Doku über Steuertricks der Großkonzerne

Der kanadische Regisseur Harold Crooks hat die zum Teil empörenden und erschütternden Machenschaften multinationalen Konzerne in seinem Dokumentarfilm "The Price We Pay" hinterfragt. Am 23. November wurde der Film im Wiener Metro-Kinokulturhaus präsentiert.

Straßen und Häuser von oben

ARP Sélecion

Kulturjournal, 23.11.2015

Dieser Tage hat Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling der Steuerhinterziehung zum wiederholten Mal den Kampf angesagt. Doch das dürfte ein schwieriges Unterfangen sein: Denn anders, als uns gerne weisgemacht wird, wird der größte Steuerschaden für den Staat nicht vom Wirten ums Eck ausgelöst, der seine Umsätze an der Registrierkasse vorbeischummelt, sondern von multinationalen Konzernen und ihren hochkomplexen Steuerkonstrukten.

"Offshore" heißt das Zauberwort von Amazon, Apple, Google, Starbucks und Co. "Offshore" - das meint Strukturen, die ihnen entweder völlige Steuerfreiheit gewähren - dank zahlreicher, kompliziert verstrickter Subunternehmen mit Sitz auf den Bahamas oder anderen Inseln - oder ihre Steuerlast zumindest deutlich geringer ausfallen lassen, als die eines gewöhnlichen Steuerbürgers, und das noch dazu völlig legal. Der kanadische Regisseur Harold Crooks hat diese Machenschaften in seinem Dokumentarfilm "The Price We Pay" hinterfragt.

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Am 23.11., um 19.00 Uhr wird der Film im Metro Kinokulturhaus in der Johannesgasse präsentiert.
Filmarchiv - The Price We Pay

The Price We Pay

Weit weg, oft mitten im fernen Ozean, lassen sich nicht nur angenehme Urlaube verbringen, sondern auch große Summen Geld gut steuersparend parken. Das ist spätestens seit der Finanzkrise 2008 bekannt.

Komplexe Konstruktion seit Ende des British Empire

Ins Leben gerufen wurde das dahinterliegende System kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, und zwar von britischen Bankern, erzählt der kanadische Dokumentarfilmer Harold Crooks: "Im Britischen Empire war London die Hauptstadt der Finanzwelt, hierhin floss der Großteil der weltweiten Reichtümer. Nach dem Zusammenbruch des Empires hatten die britischen Banker die Idee, ehemalige Kolonien, vor allem in der Karibik, als geheime Rechtssysteme zu etablieren." Das Beispiel machte Schule, seit den 1980ern ist die weltweite Entwicklung nicht mehr aufzuhalten, die aus ehemaligen Sozialstaaten längst kompetitive Wirtschaftsnationen gemacht hat, sagt Crooks.

Vier Jahre Recherche rund um den Globus

Vier Jahre lang hat er für seinen Film recherchiert, ein Jahr lang drehte er rund um die Welt. Entstanden ist eine dichte Dokumentation, die sich ausschließlich aus den Stimmen seiner Interviewpartner zusammensetzt - Mitglieder gemeinnütziger Organisationen wie Transparency International oder die Soziologin Saskia Sassen kommen ebenso zu Wort wie ehemalige Insider aus der Finanzwelt. Crooks holte Ex-Mitarbeiter großer Konzerne und Banken vor die Kamera, den ehemaliger Vize-Präsident von Goldman Sachs ebenso wie einen hochrangigen Mitarbeiter des Chicago Stock Exchange. Und, so Crooks: "Sie alle halten das für unhaltbare Entwicklungen im ökonomischen System."

Milliarden US-Dollar Steuerersparnis für Großkonzerne

Die komplexen Konstruktionen aus Mutter- und Tochterkonzernen mit Sitz in Luxemburg, der Schweiz, Jersey oder karibischen Steueroasen wie den Bahamas oder Cayman Islands ermöglichen den großen Konzernen Steuereinsparungen in Milliardenhöhe. Der Film zeigt katalogreife Aufnahmen solcher Steueroasen, aber auch die skurrilen Hintergründe dieser Konstruktionen. Ein Interviewpartner erzählt, er habe den Gouverneur der Zentralbank der Bahamas kennengelernt, einen offenkundig wichtigen Mann. Allerdings habe dieser gestanden, keine Ahnung von Bankwesen und auch keine Macht in seinem Unternehmen zu haben. Denn die Fäden werden von London aus gezogen.

Verantwortliche vor der parlamentarischen Anhörung

Dazwischen bringt Crooks Ausschnitte aus parlamentarischen Anhörungen in den USA und Groß Britannien, zu denen die Verantwortlichen von Google, Amazon oder Starbucks in den letzten Jahren vorgeladen wurden - und bei denen sie sich zum Teil verblüffend lächerlich gebärdeten. Was diese Anhörungen gebracht haben? Sie waren zumindest ein Anstoß, so Crooks: "Sie hatten wesentliche Auswirkungen auf die öffentliche Wahrnehmung und lösten politischen Druck aus, sodass sogar die konservativsten Politiker jetzt darüber reden, in einer Art wie sie nie vorher darüber gesprochen haben."

Enormer Steuerentgang auch in Österreich

Auch Österreich ist in hohem Maß von solchen Steuerhinterziehungen betroffen. Ein gern zitiertes Beispiel: Der Kaffeehändler Starbucks erwirtschaftete im Jahr 2013 elf Millionen Euro Umsatz in Österreich und soll davon Steuern in Höhe von 1.311 Euro gezahlt haben. Besondere Abkommen verhelfen Google in manchen Staaten zu einem Steuersatz von 3,5 Prozent, Amazon muss bisweilen sogar unter 1 Prozent an den Fiskus abliefern. Die weltweiten Schäden, die solche Systeme verursachen, sind eklatanter als eine Lücke im Staatshaushalt, wie der Film zeigt, etwa wenn in einem speziellen Handelsabkommen Bananen von Guatemala auf die Cayman Islands verkauft und von dort weiter vermarktet werden und dabei dem Staat Guatemala jährlich 500 Millionen US-Dollar entgehen.

Empörung in breiter Bevölkerung angekommen

"Wenn Gesetze nur mehr für Arbeiter und Mittelschicht gelten, ist Demokratie eine Farce geworden", sagt einer der Interviewpartner; "wir haben keinen Sozialstaat mehr", ein anderer. Längst ist auch die breite Bevölkerung alarmiert und empört. Vor einigen Jahren protestierte die Occupy-Bewegung lautstark gegen die weltweite Praxis des Steuerbetrugs im großen Stil. Zudem haben sich globale Organisationen wie die Tax-Justice-Bewegung gebildet: "Entstanden ist sie in einem kleinen Gartengeräteschuppen nördlich von London", erzählt Crooks, "heute operiert sie weltweit."

Jobs als Einsatz im Finanzpoker

Doch sobald einzelne Staaten wie Frankreich oder Kanada versuchen, entsprechende Steuerforderungen geltend zu machen, drohen die Konzerne mit Abwanderung und somit dem Verschwinden Tausender Arbeitsplätze. Wer Jobs schafft, hat Recht, so scheint es. Das zeigen auch Stimmen einfacher Menschen, die Crooks in seinem Dokumentarfilm eingefangen hat. Was sie nicht sehen, erklärt die Soziologin Saskia Sassen: Sie spricht von der Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsschichten aus diesem Steuerkomplott.

Wenn, dann müssen alle Staaten gemeinsam dagegen kämpfen, lautet die Forderung. OECD und EU seien gefragt, ein neues, EU-weites Steuermodell längst überfällig. Für Harold Crooks steht die Welt vor einem Scheidepunkt: "Entweder kollabiert unser System oder es entwickelt sich. Es liegt an uns, welchen Weg es einschlägt."