Auf den Spuren der Dichter und Denker
Eine Reisekolumne von Doris Stoisser über die Faszination literarischer Orte.
8. April 2017, 21:58
"Zoff in der Provence" stand im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zu lesen. Was ist geschehen? Der Schriftsteller Peter Mayle lässt sich in Südfrankreich nieder und schreibt sehr pointiert in einem Roman über seine Probleme als Neofranzose mit britischem Migrationshintergrund. Mehr als drei Millionen Mal verkauft, trägt das Buch "Mein Jahr in der Provence" detailgetreue Schilderungen des Ortes Menerbes und seiner schrulligen Bewohner in die anglophone Welt. Woraufhin Scharen von Touristen auf dessen Spuren unterwegs sind, was die prominenten und ruhesuchenden Nachbarn, sowie die oft nicht sehr schmeichelhaft porträtierten Dorfbewohner ziemlich verärgert.
Wie sich die Gemüter beruhigt haben, ist nicht überliefert, angeblich zog der Autor für einige Zeit nach London, um sich dann anderswo im Luberon niederzulassen. Gern würde ich wissen, was die Anreisenden zu finden hoffen, wenn sie vor der Mauer des Mayl‘schen Anwesens stehen oder vor dem Haus in Venedig, in dem nie eine Familie Brunetti gewohnt hat. Frei erfunden, aber an realen Orten angesiedelt, sind Romane oft, vor allem auch Krimis oder Spionagegeschichten, wo wir diese Realitätsnähe besonders schätzen, weil sie die Handlung glaubhaft macht.
Mit dieser Realitätsnähe spielt zum Beispiel auch der von mir geschätzte Barry Eisler in seiner, in Tokio spielenden "Lonely Samurai"- Serie. Eisler bietet auf seiner Webseite die Restaurants, Bars und besonderen Locations seiner Bücher samt Adressen, genauen Beschreibungen und Fotos gleichsam zum "Nachreisen" an. Ehrlichgesagt bin auch ich schon an Orte gefahren, die in Romanen besonders ansprechend - samt ihren kulinarischen Besonderheiten - geschildert waren, wohl wissend, dass die Geheimtipps dank hoher Auflagen der Bücher längst überlaufen sind. Ich stand auch schon an Ernest Hemmingways Schreibtisch in Kuba, in Vicki Baums Haus auf Bali und in der Bar in Saigon, wo der Romanheld Graham Greens einst seine Freundin traf.
Tun wir das, weil wir ihnen wenigsten für einige Minuten nahe sein wollen, den Menschen, deren Bücher uns so gefesselt haben? Lesen wir Reisetagebücher, um mit eigenen Erfahrungen das zu vergleichen: was sie gesehen haben - Albert Camus in den vierziger Jahren in Amerika - und wir heute? Vielleicht erfahren wir eines von ihnen allen, ob Mayle, Eisler, Green oder Camus: es braucht Zeit, um ihre Spuren zu lesen, wenn wir uns diese Zeit nehmen, werden wir vielleicht unsere eigenen Spuren finden.
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