Türkei war vor Anschlag gewarnt

Die türkischen Behörden suchen nach dem Terroranschlag in Istanbul, der mit dem Selbstmordattentäter weitere elf Todesopfer und zahlreiche schwer Verletzte gefordert hat, nach Personen, die im Sold der Terrororganisation Islamischer Staat stehen könnten. Die Behörden müssen sich allerdings auch dafür rechtfertigen, dass sie angeblich bereits vorgewarnt waren und nicht entsprechend reagiert haben.

Mann in Istanbul lehnt an Betonzaun

AP/LEFTERIS PITARAKIS

Mittagsjournal, 13.1.2016

Aus der Türkei,

Angst vor neuen Attentaten

Die Hinweise des türkischen Geheimdienstes wurden zuletzt am 4. Jänner an Sicherheitsbehörden im ganzen Land übermittelt. In den Warnungen habe es geheißen, Selbstmordattentäter des IS hätten die Grenzen zur Türkei passiert. Es seien Anschläge geplant gegen Nichtmuslime, in erster Linie gegen Ausländer und Touristen.

Konkret wurde auch Istanbul als potentieller Anschlagsort genannt heißt es in Medienberichten. Der gestrige Attentäter war den Behörden aber offenbar nicht bekannt. Er findet sich auf keiner Liste der Terrorverdächtigen und auch nicht auf der ganz konkreten Fahndungsliste potentieller Selbstmordattentäter, die die Behörden erstellt haben mitsamt Fotos der Verdächtigen. Berichte seriöser Medien wonach der 1988 geborene Attentäter in der Türkei mit Fingerabdruck als Flüchtling registriert war, wurden offiziell weder bestätigt noch dementiert.

Über konkrete Ermittlungsergebnisse darf in türkischen Medien derzeit nur eingeschränkt berichtet werden. Es herrscht eine Nachrichtensperre, die Regierung füttert die Medien spät und unregelmäßig. Man wolle damit die Deutungshoheit über den Terrorakt und seine Folgen fest in der Hand halten sagen Kritiker. Auch die Hintergründe der Festnahme von drei russischen Staatsbürgern in Antalya bleiben unklar. Fest steht aber, dass seit gestern Nachmittag Dutzende mutmaßliche IS-Sympathisanten und Aktivisten in landesweiten Razzien festgenommen wurden.

Spekuliert wird jetzt über die nächsten Schritte im Kampf gegen die Bedrohung durch IS-Aktivisten im eigenen Land. Hatte die islamisch-konservative Regierung lange Zeit das Bedrohungspotential durch radikale Islamisten unterschätzt so geht man jüngst deutlich härter gegen sie vor. Zu spät wie Kritiker meinen. Dass der Attentäter von Istanbul offenbar erst vor kurzem unbehelligt die syrische Grenze zur Türkei passiert hat, zeigt wie schwierig es ist die hunderte Kilometer lange gefährliche Grenze vollständig zu kontrollieren und abzuriegeln.

Sollte sich bestätigten, dass der Attentäter tatsächlich als Flüchtling registriert war, dann wird dies zu Diskussionen führen. In einem Land, das bereits mehr als zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien beherbergt.

Ähnlich groß wie die Angst vor neuen Attentaten ist auch die Sorge vor den wirtschaftlichen Konsequenzen des Terrorakts: „Natürlich wird das dem Tourismus schaden. Die Leute kommen, um unser Land anzusehen. Und dann müssen sie sterben“ sagt Huseyin Ünal, ein Straßenverkäufer in der Altstadt von Istanbul. „Wir wünschen uns, das wäre nie passiert. Der Anschlag wird unser Einkommen beschädigen. Dabei wären wir ein Land wo jeder unbeschwert hinreisen kann. Die meisten brauchen für die Türkei nicht einmal ein Visum“ sagt der Geschäftsmann Sefik Asuk.

Die türkischen Medien drücken heute Deutschland und den Angehörigen der Opfer ihr Beileid aus. Im Herzen bei Euch titelt die Zeitung Haber Türk auf Deutsch. Deutsche stellen auch die mit Abstand größte Touristengruppe in der Türkei. Die türkische Tourismusindustrie schwächelt ohnehin. Nicht zuletzt weil die meisten russischen Gäste ausbleiben. Aufgrund des jüngsten Konflikts beider Länder nach dem Abschuss eines russischen Jets durch die türkische Luftwaffe. Der gestrige Anschlag könnte das Vertrauen in die Türkei als bisher relativ sicheres Reiseland nachhaltig erschüttern.