Online-Literatur in China
Der Internet-Boom in China hält ungebrochen an. Erst Ende letzten Jahres hat die Staatsführung verlauten lassen, dass der Plan, China zu einer starken Internet-Nation zu machen ganz oben auf der Agenda stehe. Im Bereich der Literatur macht sich der Internet-Boom schon seit einigen Jahren bemerkbar. So gehören im Reich der Mitte Online-Autoren zu den am besten verdienenden und populärsten Schriftstellern.
8. April 2017, 21:58
Kulturjournal, 18.1.2016
Wandlung eines Literatur-Nerds
Zhang Wei ist 35 Jahre alt. Als Literatur-Nerd hat er begonnen, davon ist aber nichts mehr zu erkennen. Zu Fototerminen bittet er heutzutage in die Präsidenten-Suite eines Fünf-Sterne-Hotels und zum Termin kommt er mit schwarzer Designerbrille und einem teuren Zweireiher mit rosa Stecktuch. Die Wandlung hat einen guten Grund: Zhang Wei gilt als der reichste Online-Autor Chinas. Umgerechnet 3,7 Millionen Euro soll er allein in einem Jahr mit seinen Superheldengeschichten verdient haben.
Seit den späten 1990er Jahren spielt die Online-Literatur in China eine bedeutende Rolle. Und ein Ende der Begeisterung scheint nicht in Sicht. Die Sinologin Ingrid Fischer-Schreiber ist Mitbegründerin und Betreiberin des Vereins China Culture Desk, der sich um die Vermittlung der chinesischen Gegenwartskultur im Westen bemüht. Bei jungen Chinesen erzählt sie, findet der Großteil des Lebens über das Smartphone statt. Allerorts leuchten die Displays auf und wirken in der U-Bahn, in Shopping-Malls oder auf Parkbänken wie erweiterte Körperteile ihrer User. Kein Wunder also, dass auch Literatur verstärkt über das Smartphone konsumiert wird.
500 Millionen Euro Umsatz
230 Millionen Leser von Online-Literatur gibt es in China und 43 Prozent der Internet-User verschlingen diese Geschichten auf ihren Mobiltelefonen. Fast 500 Millionen Euro Umsatz wurden 2012 mit E-Books in China gemacht. Selbst weitgehend unbekannte Autoren kommen auf einen Monatslohn von über 500 Euro, ein für chinesische Verhältnisse über dem Durchschnitt liegendes Einkommen.
Das Geld ist aber schwer verdient. Denn von den Online-Autoren wird erwartet, dass sie sich ihre Finger wund schreiben. Veröffentlicht wird nämlich oft in täglichen Fortsetzungen. An die zwanzig Seiten publiziert ein Autor jeden Tag und dass so eine Literatur nicht von der Stange kommt, versteht sich bei diesen Produktionsbedingungen von selbst. Doch das Geschichtenschreiben scheint den Chinesen im Blut zu liegen. In der Pionierzeit des Internet war die Zahl der Blogs unüberschaubar. Berichtet wurde aus dem Alltag, nicht selten auf fast exhibitionistische Weise.
Auch der Unzufriedenheit mit den bestehenden politischen Zuständen wurde im Internet Luft gelassen. Oft wurde die Kritik in historische Stoffe verpackt, manchmal trat sie aber auch ganz unverhohlen zutage. Da griff die staatliche Zensur aber in kürzester Zeit hart durch.
Sprachrohr der jungen Generation
Schriftstellerin Li Jie fand den richtigen Tonfall, um die Stimmungslage ihrer Altersgenossen abzubilden. Im radikalen Wandel, wie er sich in den letzten zwei Jahrzehnten in China vollzog, schrieb sie über die zunehmende Isolation und Orientierungslosigkeit der Menschen. Ihre Romane erscheinen schon lange in Printform und mittlerweile auch in Übersee in englischer Übersetzung. Titel wie "Die Straße der anderen" und "Endloser August" haben ihr bei ihrer Anhängerschaft den Spitznamen "Blume in der Dunkelheit" eingebracht.
Bei den erfolgreichsten Titeln im Ranking der Online-Literatur handelt es sich aber um Geschichten, die sich zwischen historischem Drama und Fantasy bewegen. Ein Genre, das ja nicht nur in China eine ungeheure Breitenwirkung hat und deshalb auch andernorts äußerst gefragt ist.
Filmproduzenten sehen sich um
Die Produzenten aus Kino und Fernsehen beobachten mittlerweile ganz genau die Online-Literatur-Plattformen. Dort lässt sich präzise ablesen, was die User wünschen und die beliebtesten Autoren werden sofort engagiert. Sogar das amerikanische Animationsfilmstudio DreamWorks, bekannt für Filme wie "Shrek", "Madagascar" und "Drachenzähmen leicht gemacht", sieht sich derzeit für seine erste chinesische Produktion unter den Online-Literaten um. Und der eingangs erwähnte Zhang Wei arbeitet an einem Projekt, das er als chinesische Version von "Avatar" beschreibt.
Die Zielgruppe, junge Chinesen, männlich und Mitte zwanzig, ist zwar nicht einkommensstark, weil sie meist in minderen Jobs oder nur Teilzeit arbeiten. Da diese jungen Menschen oft noch bei ihren Eltern wohnen, verfügen sie aber über wenig Druck und genügend Freizeit. Und bei ihrer großen Zahl reichen bereits die von ihnen investierten Kleinbeträge, um das Geschäft erfolgreich zu machen.
Knapp 700 Millionen Euro will deshalb auch das chinesische Filmstudio HS Media innerhalb von fünf Jahren investieren, um Online Fantasy Geschichten auf die große Kinoleinwand zu bringen. Und was von diesen Geschichten zu halten ist, werden wir dann auch hierzulande wissen. Die Filme sollen nämlich weltweit vermarktet werden.