Debütroman von Katharina Winkler
Blauschmuck
Es ist eine wahre Geschichte, die sich überall dort abspielt, wo Männer glauben, ein Recht über Frauen zu haben und wo Frauen in Abhängigkeit von Männern leben. Es ist eine alltägliche Geschichte - von der wir vermutlich nur erfahren, weil sie in Österreich endet. Und weil sie von einer österreichischen Autorin aufgeschrieben wurde.
8. April 2017, 21:58
Ihren Ausgang nimmt die Geschichte in einem kurdischen Dorf in der Türkei. Filiz ist sechs oder sieben Jahre alt ist sie und lebt zusammen mit Eltern und neun Geschwistern in einem Tal, wo man sich mit den Nachbarn um Wasser streitet, wo Fliegenschwärme Münder und Augenwinkel der Kinder belagern und wo man vor dem Vater genauso viel Angst haben muss, wie ein Schaf vor dem Wolf. Der Mann ist eine Naturgewalt in dieser Gegend. Gegen ihn zu kämpfen aussichtslos.
Geschlechterdiskurs
im Ö1 Archiv
Die in Oberösterreich aufgewachsene Katharina Winkler, die eigentlich Schauspielerin ist, am Volkstheater in Wien engagiert war und nun in Berlin lebt, hat einen außergewöhnlichen Debütroman veröffentlicht. Hochkonzentriert ist ihre Sprache, oft so verknappt, dass fast Lyrik daraus wird. Sie entspricht der Kargheit der archaischen Lebensverhältnisse, in denen ihre Protagonistin Filiz lebt. Kein Wort zu viel, jeder Satz gehaltvoll und dazwischen - Raum für stilles Entsetzen.
Zitat
In unserem Tal leben hundert blaue Frauen. Es gibt hellblaue Frauen und dunkelblaue Frauen, es gibt blau-rote Frauen und blau-schwarze. Es gibt Frauen, die ihr Blau um den Hals tragen wie einen Reif oder in der Vertiefung unter dem Hals wie ein Medaillon, manche tragen tragen ihr Blau als Armband um das Handgelenk, manche um ihre Fesseln. Viele Frauen wechseln den Blauschmuck von Woche zu Woche, einige von Tag zu Tag. Manche lächeln immerzu trotz ihres Blauschmucks, manche schweigen in Blau. Der Blauschmuck der Frauen trägt die Handschrift der Männer. Das Werkzeug, Holz oder Eisen, und die Anzahl der Schläge bestimmen den Blauton.
Als Filiz elf ist, trifft sie Yunus. Sie gebiert ihm drei Kinder, und schließlich ziehen sie nach Österreich. Unter erbärmlichen Verhältnissen lebt die Familie anfangs in einer kleinen Wohnung in den Donauauen, in der noch die Spuren des Hochwassers sichtbar sind. Wenn Yunus nach Hause kommt, misshandelt er Filiz. Ein aufmerksamer Arzt besorgt ihr und ihren Kindern Flugtickets in die Türkei. Als Yunus diese entdeckt, treibt er Filiz in den Selbstmord. Sie überlebt.