Uraufführung von Robert Schindels "Dunkelstein"
Der Romanautor und Lyriker Robert Schindel hat 2008 sein erstes Theaterstück geschrieben: "Dunkelstein, eine Realfarce". Historisches Vorbild für die Figur des Dunkelstein ist der Rabbiner Benjamin Murmelstein, der als Judenrat mit den Nazis kooperierte, um möglichst viele Verfolgte zu retten.
8. April 2017, 21:58
"Dunkelstein" war ein Auftragswerk des Wiener Volkstheaters, wo es aber nur einmal als szenische Lesung präsentiert wurde. Die eigentliche Uraufführung findet heute Abend statt, am Theater Nestroyhof Hamakom.
Morgenjournal, 1.3.2016
Über 100.000 Menschen gerettet
Robert Schindel, Sohn jüdischer Widerstandskämpfer, wurde in seinem Geburtsjahr 1944 vor der Deportation gerettet. Das hatte er Menschen wie dem Rabbiner Benjamin Murmelstein zu verdanken. Murmelstein war einer der Judenräte, die mit den Nazis kooperierten und von ihnen auch zur Abwicklung der Deportationen eingespannt wurden. Unter Juden in Wien und später im KZ Theresienstadt war er weithin verhasst.
Claude Lanzmann, der Regisseur des Films "Shoa", hat Murmelstein 2013 in einem großen Filmporträt rehabilitiert.
Ö1 Archiv
Claude Lanzmann Im Gespräch
Auch Robert Schindel stellt ihn in seinem Drama "Dunkelstein - eine Realfarce" als einen gewiegten Strategen dar, dessen Ziel sehr wohl die Rettung möglichst vieler Verfolgter war. Dabei greift Dunkelstein zu drastischen Mitteln; sein Mitarbeiter, gespielt von Eduard Wildner, macht ihm schwere Vorwürfe.
Szene
Leonhardt: "Sie wollen jetzt unter den jungen Juden sogenannte Rechercheure rekrutieren, die den Nazis helfen, zu Deportierende zum Sammellager zu bringen, ihnen die Koffer zu packen, und was das
Schlimmste ist, Untergetauchte aufzuspüren."
Dunkelstein: "Das muss so sein. Erinnern Sie sich, Herr Direktor, als wir uns anfangs geweigert hatten, den zu Deportierenden die Koffer packen zu helfen."
Leonhardt: "Ich weiß, sie haben einen Trupp HJ geschickt, angeführt von SA. Es war entsetzlich."
Dunkelstein: "Wir machen das besser. Und die Listen dürfen nicht willkürlich durch die SS aufgefüllt werden, weil sich ein Jud, der auf der Liste steht, versteckt. Wir kriegen zusätzlichen Terror, und es marschiert statt dem Versteckten irgendeiner, womöglich einer, den wir retten können."
Der Regisseur und Schauspieler Michael Gruner verkörpert Dunkelstein. Dessen reales Vorbild Murmelstein brachte mit Adolf Eichmann die erzwungene Massenemigration von Wiener Juden 1938 auf den Weg, damit die Rettung von über 100.000 vor der Ermordung. Dass Judenräte wie Murmelstein manchmal mit ihren Strategien auch in Fallen tappten, könne man ihnen, so Robert Schindel, schwer zum Vorwurf machen.
"Aus der Todesmaschinerie der Nazis darf man keine Schuld der jüdischen Funktionäre ableiten"
"Es war ja 1938 noch nicht von der Shoa die Rede. Sondern da ging’s um Auswanderung. Dann ging’s um Deportation, da war aber auch noch nicht klar, dass das Vernichtung war. Das war nicht einmal den Nazis klar", erklärt Schindel. "Die Wannsee-Konferenz, wo die ‚Endlösung‘ beschlossen wurde, war 1941. Daher ist auch die Arbeit der jüdischen Funktionäre neu zu bewerten. Man darf aus der Todesmaschinerie der Nazis keine Schuld der jüdischen Funktionäre ableiten."
Damals kein Asyl, heute blockierte Grenzen
Knappe, wie filmisch montierte Szenen, von Kaffeehaus bis Gefängnis, vergegenwärtigen lebhaft die Atmosphäre der Jahre unmittelbar vor und nach dem Anschluss. Je mehr der Flüchtlingsstrom aus dem Dritten Reich anwuchs, desto schwerer fanden die Verfolgten Asyl. Heute werden umgekehrt immer mehr europäische Grenzen für Flüchtlinge blockiert. Robert Schindel hält das für verkehrt: "Es ist ein längerer Integrations- und Akkulturationsprozess, der sicher nicht einfach ist; aber es ist auch nicht einfach, auf einer Insel Europa zu leben, und rings um uns ist Elend und Krieg und Blut, und wir tun die Nägel lackieren."
Robert Schindels "Dunkelstein" wird von Frederic Lion am Theater Nestroyhof Hamakom inszeniert, in einer gekürzten Spielfassung. Die Langfassung als "Lesedrama" gibt es im Haymon Verlag.
Service
Ein ausführliches Gespräch mit Robert Schindel hören Sie heute Nachmittag im "Kulturjournal", um 17.09 Uhr.
Hamakom – Dunkelstein
Robert Schindel, "Dunkelstein", Haymon Verlag