Robert Schindel im Interview
Gestern Abend ist Robert Schindels Drama "Dunkelstein" in Wien uraufgeführt worden - ein Mosaik von Szenen aus den Jahren rund um 1938 in Wien. Historisches Vorbild für die titelgebende Figur ist der Rabbiner Benjamin Murmelstein, der mit den Nazis kooperierte, um möglichst viele Verfolgte zu retten. Ein Gespräch mit dem Autor über Murmelstein, aber auch über den Extremismus von heute.
8. April 2017, 21:58

"Brecht hat einmal gesagt, der Mensch ist nur gut im äußersten Notfall. Und so können wir von durchschnittlichen Menschen - ich schließe mich da auch ein - in Extremsituationen nichts Menschliches erwarten."
APA/HERBERT PFARRHOFER
Kulturjournal, 1.3.2016
Das Drama "Dunkelstein - eine Realfarce" ist der erste Bühnentext des Prosaautors und Lyrikers Schindel. Entstanden ist es 2008 als Auftragswerk des Wiener Volkstheaters; im Jahr darauf wurde es als "Lesedrama" veröffentlicht. Am Volkstheater wurde das Stück nur an einem Abend als szenische Lesung präsentiert. Die eigentliche Uraufführung findet heute am Theater Nestroyhof Hamakom im zweiten Bezirk statt; Frederic Lion inszeniert.
"Dunkelstein" ist ein Mosaik von Szenen aus der Zeit um den Anschluss. Dunkelstein, Rabbiner und Amtsdirektor der Kultusgemeinde, verhandelt mit einem gewissen Linde. Linde ist das Pendant zu Adolf Eichmann, dem späteren Cheforganisator der "Endlösung". Das reale Vorbild für die Figur Dunkelstein ist Benjamin Murmelstein, dem auch der Filmemacher Claude Lanzmann in "Der letzte der Ungerechten" ein Denkmal gesetzt hat.
Auszüge aus dem Gespräch
"Es war ja 1938 noch nicht von der Shoa die Rede. Sondern da ging's um Auswanderung. Dann ging’s um Deportation, da war aber auch noch nicht klar, dass das Vernichtung war. Das war nicht einmal den Nazis klar", erklärt Schindel. "Die Wannsee-Konferenz, wo die 'Endlösung' beschlossen wurde, war 1942. Daher ist auch die Arbeit der jüdischen Funktionäre neu zu bewerten.
Neu bewertet hat es schon Doron Rabinovici mit seinem Buch 'Instanzen der Ohnmacht', wo er generell vom Begriff her die Judenräte in Schutz nimmt gegen die Angriffe von Hannah Arendt und anderen, die aus dem weiten Kalifornien Verurteilungen durchgeführt haben. (…) Man darf aus der Todesmaschinerie der Nazis keine Schuld der jüdischen Funktionäre ableiten."
Nach wie vor ist für die meisten Menschen die Frage unbeantwortet: Wie konnte es so weit kommen? Ist jetzt ein Moment, wo man das in Ansätzen wieder studieren kann? Wenn man daran denkt, dass die Vorsitzende der AfD sagt, man solle auf Flüchtlinge schießen. "Brecht hat einmal gesagt, der Mensch ist nur gut im äußersten Notfall. Und so können wir von durchschnittlichen Menschen - ich schließe mich da auch ein - in Extremsituationen nichts Menschliches erwarten. Wenn es Menschen gibt, die ihre Menschlichkeit bewahren, so sind das auch Helden."
Heißt das, dass wenn wieder eine historische Situation eintritt, die das Verhalten fördert, dass man sich dem nicht entgegenstellen kann? Rechtsradikale Gewalttaten mehren sich. "Man kann es mit der nationalsozialistischen Zeit noch lange nicht gleichsetzen. Wir leben noch immer in einer Art Demokratie, und es gibt auch Widerstand gegen diese rechten Tendenzen. Diese Auseinandersetzung muss geführt werden und die ist nicht hoffnungslos."
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Claude Lanzmann Im Gespräch