"Dunkel, fast Nacht" von Joanna Bator

Mit ihren ersten beiden Romanen "Sandberg" und "Wolkenfern" hat die polnische Schriftstellerin Joanna Bator im deutschsprachigen Feuilleton Jubelstürme ausgelöst. Als eine der wichtigsten Stimmen der Gegenwartsliteratur wurde sie gefeiert, ihr besonderer Sprachwitz wurde gelobt.

Soeben erschien Bators dritter Roman, "Dunkel, fast Nacht", mit dem sie 2013 die Nike, den bedeutendsten Literaturpreis Polens, gewann: ein packender Krimi mit fantastischen Elementen, der gnadenlos mit der Xenophobie in der polnischen Gesellschaft abrechnet.

Mittagsjournal, 25.3.2016

"Unfreiwillig komische Stimmen"

Die Ich-Erzählerin des Romans ist Alicja Tabor, eine Warschauer Journalistin, mit Hang zu besonders erschreckenden Kriminalfällen. Als in ihrem Heimatort, dem schlesischen Walbrzych, drei Kinder verschwinden, stürzt sie sich leidenschaftlich in die Recherche. Dabei trifft sie nicht nur deren Familien, sondern beobachtet auch verschiedene Internet-Foren, wo die abstrusesten Verschwörungstheorien gewälzt werden.

Die Kindesentführungen seien zwar erfunden, so Joanna Bator, die xenophoben Hasstiraden, die sie in ihrem Roman wiedergibt, aber sehr authentisch: "Ich begann die Sprache dieser Internetforen genau zu analysieren: Die häufigsten und wichtigsten Metaphern herauszufinden und ein Gefühl für die besondere Sprache zu bekommen, die da Verwendung fand. Und darauf basierend, habe ich dann meine chattenden Figuren entworfen. Die Kapitel mit diesen Internet-Streitereien habe ich 'Schwall' genannt, weil sie mir wie einen Choral vorgekommen sind, mit einem wiederkehrenden Refrain. Dabei haben mir diese Stimmen Angst gemacht, gleichzeitig waren sie aber auch unfreiwillig komisch."

Geheimnisvolle Parallelwelt

Joanna Bator legt eine ganze Gesellschaft auf die Freudsche Couch, zeigt die gefährlichen Symptome und analysiert gleichzeitig welche Ängste und Traumata ihnen zugrunde liegen. Die packende Handlung verliert dabei nie an Fahrt, auch weil es unter dem harten Beton der gesellschaftspolitischen Wirklichkeit eine geheimnisvolle Parallelwelt zu geben scheint. Versteckte Zimmer gibt es da, Falltüren und unterirdische Gänge, in denen eine mythische Vergangenheit zu spuken scheint. Nicht nur einmal ist man da an die Romane Haruki Murakamis erinnert und tatsächlich ist der Japaner Joanna Bators Lieblingsautor.

Aber nicht nur das. Der Roman "Dunkel, fast Nacht" ist auch vollständig in Japan entstanden. Joanna Bator: "Ich habe vier Jahre in Japan verbracht und habe in dieser Zeit die japanische Kultur und Denkweise tief verinnerlicht. Was mich dabei besonders fasziniert hat, ist die nur dünne Grenze, die dort zwischen der Realität und einer surrealen Parallelwelt besteht."

Vorwegnahme der politischen Entwicklung

2011 hat Bator den Roman geschrieben, doch vieles darin scheint die politischen Entwicklungen in Polen vorweggenommen zu haben. So beschreibt Bator den radikalen Bruch, der seit dem Wahlsieg der rechtskonservativen PiS-Partei durch die Gesellschaft geht. Bator selbst hat das letzte Jahr in Berlin gelebt und mit Besorgnis den wachsenden Einfluss der Regierung auf die Medien beobachtet: "Von Tag zu Tag verlieren sie mehr von ihrer Unabhängigkeit und das macht mir wirklich Angst. Vor wenigen Tagen habe ich in Berlin an einer Demonstration zum Schutz der Demokratie in Polen teilgenommen. Ich bin mir vorgekommen wie damals mit 15, als ich mit dem Solidarnosc-Sticker auf meiner Schuluniform auf die Straße gegangen bin. Dass wir nach Jahren des Aufschwungs in Polen plötzlich wieder für Demokratie kämpfen müssen, deprimiert mich derzeit völlig."

Gesellschaftskritik verpackt in einen unter die Haut gehenden Thriller, bevölkert von wunderbar skurrilen Figuren. Joanna Bators "Dunkel, fast Nacht" ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Service

Joanna Bator, "Dunkel, fast Nacht", Suhrkamp Verlag
Originaltitel: "Ciemno prawie noc"

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