Autorin Joanna Bator im Gespräch
Mit ihrem dritten Roman, "Dunkel, fast Nacht", legt die polnische Autorin Joanna Bator einen packenden Krimi vor, der gnadenlos mit der Xenophobie in der polnischen Gesellschaft abrechnet. Ö1 sprach mit ihr über den Hass im Internet, Geister und selbsternannte Heilige.
8. April 2017, 21:58
SUHRKAMP VERLAG
Kulturjournal, 25.3.2016
Großen Jubel hat die polnische Schriftstellerin Joanna Bator mit ihren ersten beiden Romanen "Sandberg" und "Wolkenfern" im deutschsprachigen Feuilleton ausgelöst. Iris Radisch sprach in der "Zeit" gar von einem "Jahrhundertwerk". In Bators neuem Werk geht es nicht nur um eine schwierige Familiengeschichte, sondern auch um einen erschreckenden Kriminalfall: In einer polnischen Kleinstadt, dem Heimatort von Bator und ihrer Ich-Erzählerin, sind drei Kinder verschwunden. Eine Journalistin versucht dem Verbrecher auf die Spur zu kommen. 2013 hat Bator mit "Dunkel, fast Nacht" die Nike, den bedeutendsten Literaturpreis Polens gewonnen.
Joanna Bator, in "Dunkel, fast Nacht" stellen Sie eine radikalisierte Gesellschaft dar, gleichzeitig zeigen Sie aber auch, wie sich hinter dieser latenten Gewaltbereitschaft Ängste und Traumata verbergen. Haben Sie mit Ihrem Roman versucht, die polnische Gesellschaft auf die Freud‘sche Couch zu legen?
Ich habe dieses Buch in Japan geschrieben und die räumliche Entfernung hat es mir erlaubt, einen genauen Blick auf die Ereignisse in meiner Heimat zu werfen. Und ja, Sie haben Recht, was den psychoanalytischen Ansatz betrifft. Der Ausgangspunkt für "Dunkel, fast Nacht" war aber nicht die polnische Gesellschaft, sondern der ganz einschneidende Moment in meinem Leben, als ich bemerkte, wie sehr das Böse plötzlich das Zusammenleben zwischen den Menschen beherrschte. Ich untersuchte damals die besondere Sprache der Internet-Foren und war schockiert, welche Hasstiraden es da gab. Es war als würden da zwei primitive Stämme miteinander kämpfen. Der eine Stamm hasste alles, was anders und fremd war und der zweite Stamm hasste alle, die die anderen hassten. Es stand da also Hass gegen Hass. Und jetzt, vier Jahre später haben wir diese Konfrontation auch in der realen Welt voll ausgebildet. Aber zurück zu dem Roman. Ich hatte den Plan einen bösen Geist vorkommen zu lassen, aber auf eine zeitgemäße Art und Weise und fand schließlich die Möglichkeit, ihn eben als Stimme in einem Internet-Forum darzustellen.
Der katholische Glauben spielt im Buch eine wichtige Rolle. Die konservativen Ansichten werden aber nicht von kirchlichen Würdenträgern geäußert, sondern von selbst ernannten Heiligen, die einfach die Position von Kardinälen oder Bischöfen eingenommen haben. Ist das eine Besonderheit der polnischen Situation?
Ich fürchte, dass derzeit in Polen alles auf eine sehr gefährliche Weise zweigeteilt ist. Ich glaube immer noch daran, dass es einen guten Kern in der polnischen katholischen Kirche gibt, wo tiefe und authentische religiöse Erlebnisse eine wichtige Rolle spielen. Das versuche ich auch mit der Figur des Jan Kolek zu zeigen, der eine außergewöhnliche Erfahrung gemacht hat und deshalb als Prophet auftritt. Da geht es um ein aufrichtiges metaphysisches Erleben. Diese tiefe Sehnsucht des Menschen, Teil eines größeren Ganzen zu sein, wird aber von der dunklen Seite der katholischen Kirche und von der rechtskonservativen Regierung zusammen mit den in der Bevölkerung schwelenden Ängste für politische Zwecke missbraucht.
Ist die Situation in Polen schon ähnlich der in Ungarn, wo die Leitung der großen Theater und Opern mehr und mehr an regierungstreue Personen übergeben wird?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Polen betreibt im Ausland Kulturinstitute und die sind jetzt erstmals angehalten, ihre Jahresprogramme dem Ministerium zur Bewilligung vorzulegen. Dort soll nämlich nicht mehr zeitgenössische Kunst und Kultur gezeigt werden, sondern man will, um es überspitzt zu formulieren, eine Art religiösen Pilgerzug zelebrieren. Die polnischen Kulturinstitute haben auch bisher schon den Polen im Ausland die Möglichkeit geboten, die religiösen Feste in Gemeinschaft zu feiern; gleichzeitig standen sie aber auch polnischen Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern offen, um ihre Arbeiten zu präsentieren. Die Kulturinstitute dürfen nicht einfach zu religiösen Institutionen gemacht werden, genauso wenig wie der Staat selbst. Diese Trennung muss unter allen Umständen aufrechterhalten werden.
Ich habe gehört, dass Sie Ihre ersten beiden Romane nicht vorkonzipiert haben, sondern die Handlung sich Ihnen erst sukzessive im Verlauf des Schreibens erschlossen hat. "Dunkel, fast Nacht" nimmt jetzt Anleihen am Kriminalroman, es gibt also Spuren, denen es zu folgen gilt und andere, die im Sand verlaufen, genauso wie Verdächtige und Täter. Mussten Sie da dieses Mal nicht von Ihrer gewohnten Methode abweichen und sich vorweg einen Plan zurechtlegen?
Als ich "Dunkel, fast Nacht" begann, hatte ich keine Ahnung, wie das Buch enden würde. Die Handlung hat sich mir auch hier wieder von Tag zu Tag erschlossen. Ich habe beim Schreiben diese fast erleuchtungsartigen Momente, wo plötzlich keinerlei Zweifel mehr besteht, wie die Geschichte weitergeht.
Wo wird Ihr neues Buch spielen? Kehren Sie ein viertes Mal an Ihren Heimatort Walbrzych zurück?
Nein, der Schauplatz ist nicht mehr Walbrzych. Dorthin werde ich nur noch einmal zurückkehren, für mein allerletztes Buch am Ende meines Lebens. Der neue Roman spielt aber im selben Teil Polens, in einer kleinen Ortschaft, die heute Zabkowice Slaskie heißt. Früher trug sie den Namen Frankenstein und damit habe ich jetzt die Katze aus dem Sack gelassen: Ich habe also in meinem Stipendiumsjahr in Berlin eine neue Version des Frankenstein geschrieben.
Service
Joanna Bator, "Dunkel, fast Nacht", Suhrkamp Verlag
Originaltitel: "Ciemno prawie noc"