Berlinde de Bruyckere im Leopold Museum

Die belgische Künstlerin Berlinde de Bruyckere gehört zu den international bekanntesten Bildhauerinnen der Gegenwart. Im Leopold Museum ist ihr ab Freitag eine große Einzelausstellung gewidmet: Zu sehen sind ihre zum Teil lebensechten Skulpturen aus Wachs und Kunstharz, die erstaunliche Metamorphosen von Mensch und Tier verkörpern.

2013 erntete sie mit ihrer Installation "cripplewood" im belgischen Pavillon bei der Kunstbiennale in Venedig viel Beifall.

Morgenjournal, 5.4.2016

"Eine Ausstellung, die man unbedingt gesehen haben muss"

Von verletzten Kreaturen

Es sind Wesen, die sich mit offenen Wunden und verstümmelten Gliedmaßen in all ihrer Verletzlichkeit zeigen. Dank der virtuosen Darstellung verlieren die deformierten Kreaturen, die da kraftlos an Seilen oder über Stühle hängen, aber ihre Würde nicht. Sie erwecken im Betrachter Mitleid, wie all die Pieta-Darstellungen der Kunstgeschichte vor ihnen. Auch wenn die Künstlerin diese klassischen Motive - wie etwa einen Christus am Kreuz - umdeutet. Sie denkt dabei an Bilder aus dem Irakkrieg, die Soldaten an einer Brücke aufgehängt zeigen.

Menschlich wirkende Häute

Die Oberflächen der Skulpturen sind aus durchscheinendem Wachs, das in tieferen Schichten mit blauen oder blutroten Adern durchzogen ist. Mit diesen sehr menschlich wirkenden Häuten bedeckt die Künstlerin auch Bäume, die dann wie menschliche Organe aussehen. Auf diese Weise hat sie 2013 bei der Biennale in Venedig eine riesige gestorbene Ulme als verletzten Giganten inszeniert. Sie habe in der Form des Baumes menschliche Formen (einen Torso und einen Phallus) entdeckt, sagt de Bruyckere.

Vereint, bald vereinsamt

Sehr berührend in der Ausstellung im Leopold Museum sind zwei nebeneinanderstehende Vitrinen. In der einen befindet sich ein Paar, das im Liebesakt ineinander verschmolzen ist. In der anderen eine verlassene Kreatur, die in sich zusammengekrümmt an ihrer Einsamkeit leidet. Berlinde de Bruyckere sagt, dieser Moment der Einswerdung eines Paares sei so rasch vorüber, daher habe sie ihn unter einen Glassturz gestellt.

Vorbild Lucas Cranach

Von den alten Meistern, allen voran Lucas Cranach, hat de Bruyckere nicht nur die virtuose Gestaltung der Oberflächen gelernt, sie hat von ihnen auch die Vorliebe für das Eros- und Thanatos-Motiv übernommen. So ist es nicht immer leicht zu sagen, ob sich die deformierten Gestalten im Liebes- oder Todeskampf winden.

Parallelen zu Wilhelm Lehmbruck

Eine Ausstellung, die man unbedingt gesehen haben muss - vor allem in Zusammenhang mit der Wilhelm-Lehmbruck-Ausstellung, die gleichzeitig mit dieser Schau am Donnerstag im Leopold Museum eröffnet wird. Denn es ist verblüffend, wie viele formale Parallelen Lehmbruck als Bildhauer der Moderne um 1900 mit der 100 Jahre später arbeitenden de Bruyckere aufweist.

Service

Leopold Museum - Gerlinde de Bruyckere. Suture
8. April bis 5. September 2016

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