Schleppender Friedensprozess in Ostukraine

In der Vorwoche hat die OSZE in der Ostukraine wieder eine deutliche Zunahme der Verletzungen der Feuerpause durch die Konfliktparteien festgestellt.

Mehr geschossen wurde auf dem Gebiet um die prorussische Rebellen-Hochburg von Donezk, ruhiger ist es entlang der Waffenstillstandslinie der sogenannten Volksrepublik von Lugansk, ganz im Osten der Ukraine.

Während aber Donezk noch über ukrainisches Territorium erreichbar ist, sind alle drei Übergänge von Lugansk wieder geschlossen.

In Lugansk ist derzeit ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz; dort hat er mit dem Chefverhandler der sogenannten Volksrepublik von Lugansk bei den Friedensverhandlungen in Minsk, Viatcheslav Denego, über seine Sicht des Friedensprozesses gesprochen.

Mittagsjournal, 15.4.2016

Die gesamte Waffenstillstandslinie zwischen den Rebellen-Gebieten in Donezk und Lugansk und der ukrainischen Seite ist knapp 500 Kilometer lang. 40 Prozent davon entfallen auf das Rebellen-Gebiet von Lugansk. Vom Krieg war die Stadt stärker betroffen als Donezk. Jetzt leidet Donezk stärker unter der Verletzung der Feuerpause, weil es näher an der Frontlinie liegt als Lugansk, doch natürlich wird auch in diesem Frontabschnitt die Waffenruhe immer wieder verletzt. Trotzdem sieht in Lugansk der Chefverhandler der prorussischen Kräfte, Wjatscheslaw Denego, durchaus positive Seiten im Friedensprozess von Minsk:

"Man darf nicht sagen, dass er nicht funktioniert. Den Eindruck, dass gar nichts funktioniert kann man bekommen, wenn man sich nur die Zahlen anschaut. Im Februar 2015 hatten wir an der Waffenstillstandslinie zwischen 140 und 200 Verletzungen der Waffenruhe pro Tag. Jetzt kommt es zeitweise zu 400 pro Tag. Doch es ist uns gelungen, die schweren Waffen abzuziehen. Die Verletzungen der Waffenruhe passieren jetzt nur mehr mit Schusswaffen und Granatwerfern. Damit ist die Gefahr für die Bevölkerung deutlich gesunken. Dass Minsk überhaupt nicht funktioniert, kann man nicht sagen, denn es ist doch deutlich ruhiger geworden."

Anderseits ist bei der politischen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk seit mehr als einem Jahr kaum etwas weitergegangen. Sporadisch gibt es Gefangenenaustausch und Entminungen, doch von einer Einigung über Lokalwahlen in Lugansk und Donezk ist man ebenso weit entfernt wie von einer Amnestie für die Rebellen und einem Sonderstatus der Gebiete im Rahmen des ukrainischen Staatsverbandes. Dazu sagt Wjatscheslaw Denego:

"Der Prozess zur friedlichen Lösung des Konflikts steckt in einem gewissen Maße fest. Dabei ist die Haltung Europas interessant. Im Falle Syriens spricht man davon, dass es nötig ist, so schnell wie möglich eine politische Lösung zu finden und die Verfassung zu ändern, weil man das als grundlegend für eine Feuerpause ansieht. Bei uns ist es umgekehrt: Erst soll man zu schießen aufhören, und dann soll man über eine Regelung des Konflikts reden. Meiner Ansicht nach ist es nicht möglich, ohne eine politische Lösung ein Ergebnis zu erzielen."

Für diesen weitgehenden Stillstand macht Denego - wenig verwunderlich - ausschließlich die Regierung in Kiew verantwortlich, die im Grunde an einer Reintegration von Lugansk und Donezk nicht besonders interessiert sei. Außerdem tue die ukrainische Seite alles, um das Leben der Menschen in diesen Gebieten zu erschweren. Dazu zähle die häufige Sperre der Übergänge über die Waffenstillstandslinie, vor allem im Raum Lugansk. In Kiew gibt es seit gestern mit dem 38-jährigen Wolodymyr Groisman einen neuen Ministerpräsidenten. Sind durch Groisman und die neue ukrainische Regierung neue Impulse für den Friedensprozess in Minsk zu erwarten? Wjatscheslaw Denego:

"Groisman war der Mann, der das Gesetz über die Amnestie nicht unterzeichnet hat. Ich denke daher nicht, dass er seine radikale Haltung geändert hat, und ich glaube auch nicht, dass sich die Lage unter ihm als Regierungschef bessern wird. Möglich ist sogar eine Verschärfung. Zu den Bestimmungen von Minsk gehörte auch der völlige Abzug aller ausländischen Söldner. Doch was tut die Ukraine? Sie verabschiedet ein Gesetz, das den Personen, die in den Streitkräften dienen wollen, im Schnellverfahren ukrainische Pässe ermöglicht. Eine Folge davon ist, dass an der Waffenstillstandslinie Einheiten stehen, die auf Englisch sprechen; somit sind das ausländische Söldner mit ukrainischen Pässen."

Ob derartige Einheiten tatsächlich bestehen, ließ sich gestern nicht überprüfen. Sicher ist aber, dass mit einer raschen politischen Lösung nicht zu rechnen ist, und die Ostukraine immer mehr zum eingefrorenen Konflikt wird.