"Ein anderer Tod": Roman von Ferenc Barnas

Als Reaktion auf die restriktiv-konservative Regierung blüht die ungarische Gegenwartsliteratur wie selten zuvor. Jüngstes Beispiel ist Ferenc Barnas' Roman "Ein anderer Tod", der einen ganz ungewöhnlichen Ich-Erzähler durch die Straßen der ungarischen Hauptstadt flanieren lässt.

Mittagsjournal, 27.4.2016

Ein tragischer Schelm zieht durch Budapest

2011 gründete Osteuropa-Experte Paul Lendvai gemeinsam mit seiner Frau Zsoka den Nischen-Verlag, der der ungarischen Gegenwartsliteratur im deutschsprachigen Raum zu verstärkter Aufmerksamkeit verhelfen will. Trotz der restriktiv-konservativen Atmosphäre des Orban-Regimes gab es da zuletzt erstaunliche Neuentdeckungen. Jüngstes Beispiel ist der dieser Tage erschienene Roman „Ein anderer Tod“ von Ferenc Barnas, in dem ein psychisch labiler Ich-Erzähler seinen eigenen Zustand und den der ungarischen Gesellschaft unter die Lupe nimmt.

Das Leben dieses Ich-Erzählers ist von scharfen Kurven und überraschenden Wendungen bestimmt. Während er sich als Straßenmusiker finanziell über Wasser hält, schafft er es, sein Studium zu beenden und einen gutbürgerlichen Job als Lehrer an Land zu bekommen. Doch gerade als er glaubt, es geschafft zu haben, erfolgt der psychische Zusammenbruch. Sein Leiden ist eine Mischung aus Paranoia, einer manisch-depressiven Störung und einer Hypersensibilität, die ihn aber unglaublich scharfsichtig macht.

Zeitreise im Kopf des Erzählers

"Das schwierige Leben interessiert mich", sagt Ferenc Barnas: "Weil in den schwierigen Situationen kann man mehr über sich selbst und vielleicht auch über die Welt erfahren." Und so schlüpft der Leser in den Kopf dieses labilen, aber überaus weisen Erzählers und flaniert mit ihm durch die Straßen Budapests. Der Weg durch die Stadt wird dabei gleichzeitig zu einer Reise durch die Zeit, denn die Geschichte ist für seine Hauptfigur, so Ferenc Barnas, eine im Moment pulsierende Erfahrung.

In Ungarn ist "Ein anderer Tod" 2012 erschienen, zwei Jahre nach der Wahl Viktor Orbans zum ungarischen Ministerpräsidenten. Die psychischen Probleme seines Ich-Erzählers seien deshalb auch eng mit der Situation der ungarischen Gesellschaft verbunden, so Ferenc Barnas, denn natürlich habe diese Atmosphäre auf sein Schreiben abgefärbt.

Gefährlicher Dilettantismus

"Ich sehe sehr viel Dilettantismus im Bereich der Kultur - und das ist sehr traurig. Als ob dieser Dilettantismus noch gefährlicher wäre, als der politische Kurs." Ferenc Barnas lebt mittlerweile übrigens die Hälfte des Jahres in Indonesien. Das gibt ihm die nötige Distanz, um die Folgen der Orban-Regierung auf das kulturelle Leben im Land klar einschätzen zu können.

Es sind einige falsche Lieder und Missklänge, die Ferenc Barnas in "Ein anderer Tod" entlarvt. Und weil er seinen Ich-Erzähler dabei mit überraschenden Rundumschlägen und einer entwaffnenden Offenheit durch die Welt stolpern lässt, ist Barnas mit diesem Buch fast so etwas wie ein tragischer Schelmenroman gelungen.

Service

Ferenc Barnas, "Ein anderer Tod", Roman, aus dem Ungarischen von Eva Zador, Nischen-Verlag
Originaltitel: "Másik halál", Kalligramm, 2012