DiEM25 - zur Demokratisierung Europas

Yanis Varoufakis, der ehemalige griechische Finanzminister, als Redner auf einer Theaterbühne: Das gab's gestern im Werk X in Wien-Meidling bei einer Veranstaltung von DiEM25, der Bewegung zur Demokratisierung Europas, die Varoufakis mitbegründet hat. Diskutiert wurde "Europas Versagen in der Flüchtlingskrise".

Yanis Varoufakis

APA/AFP/JAVIER SORIANO

Kulturjournal, 6.5.2016

Es handelt sich um ein europaweites Netzwerk, dem sich NGOs und Einzelpersonen anschließen können. Verurteilt werden "politische Parteien, die sich auf Liberalismus, Demokratie, Freiheit und Solidarität berufen und deren elementarste Grundsätze verraten, sobald sie an der Regierung sind". Seit der Gründung vor nur drei Monaten hat DiEM25 rund 20.000 Mitglieder gewonnen Darunter viele Geisteswissenschaftler und Künstler. Das Berliner Gründungstreffen hat nicht umsonst an einem Theater, nämlich der Volksbühne, stattgefunden. Nach einem Folgetreffen in Rom hat DiEM25 gestern in Österreich Station gemacht.

"Schäme mich für Entwicklungen in Österreich"

Bei DiEM25 schlägt das Herz links. Die musikalische Umrahmung des Diskussionsabends am Werk X stellte das gleich klar. Die Mitglieder des Chors "25. November" tragen T-Shirts mit roten Sternen oder Blaumänner. Und pflegen das gute alte, teils auch neue antifaschistische Liedgut in mehr als einem Dutzend Sprachen, mit fröhlichem Augenzwinkern und doch ernstem Einsatz.

Die Debatten und Analysen auf der Theaterbühne waren dann keine nostalgische Veranstaltung - im Gegenteil: Die Bewegung DiEM25 poppt in jeder Stadt, wo sie Station macht - mit einem speziellen, zum Ort und Zeitpunkt passenden Thema auf. Hier in Wien: "Europas Versagen in der Flüchtlingskrise".

Seit gestern geht der Yanis-Varoufakis-Sager "Ich schäme mich für Entwicklungen in Österreich" durch heimische Medien. Der Sager hat folgenden Hintergrund: Varoufakis‘ Familie fand während der griechischen Militärdiktatur zeitweilig in Österreich Zuflucht; und wurde damals in der Kreisky-Ära bestens behandelt.

Darum schäme er sich, dass sich nun - ganz anders als damals - Menschen in Österreich gegen Flüchtlinge wenden; und Österreich die Schließung der mazedonischen Grenze betrieben hat. So Varoufakis schon bei einer Pressekonferenz am Vormittag. Am Abend schaltete er rhetorisch vollends in den Bühnenmodus.

Lackmustest für Europa

Der Polit-Popstar Varoufakis inszeniert weniger sich selbst als seine Inhalte. Und schafft es dabei, sie ohne Plattitüden, plakativ auf den Punkt zu bringen. Fremde müsse man empfangen, wie Homers Odysseus auf der mythischen Phäakeninsel empfangen wurde. Barmherzig und gastlich. Wie wir Fremde aufnehmen, das sei ein Lackmustest für die europäischen Gesellschaften und ihr Selbstvertrauen. Bei diesem Test würde Europa soeben durchfallen.

"Let them in" war ein Leitmotiv der Veranstaltung. Lasst sie rein - die Flüchtlinge natürlich. Gleichzeitig wurde intellektueller Arroganz und Pauschalurteilen gegenüber Rechtsaußenwählern eine Absage erteilt. Man müsse zur Kenntnis nehmen, wie sehr europäische Arbeiter aufs Abstellgleis geschoben und vom guten Leben ausgeschlossen werden. Manche lassen ihre Kinder in London oder Paris studieren. Aber die Sorgen derer, die ihren Mist wegräumen, seien solchen kapitalistischen Kosmopoliten egal.

Brücken bauen zwischen Benachteiligten

Es gelte, Brücken zu bauen zwischen den Ängsten der Flüchtlinge und den Ängsten der Menschen, die den wirtschaftlichen Eliten als Arbeitskräfte zu teuer sind und als Konsumenten zu verschuldet. Doch um solche Brücken zu bauen, muss man mit denen erst ins Gespräch kommen, die aus Existenzangst rechtsaußen wählen. Wie will DiEM25 das anstellen - noch dazu in kurzer Frist? Ja, das ist endlos viel Kleinarbeit, räumte die amerikanisch-holländische Soziologin Saskia Sassen im Interview ein. Da reicht es nicht, eine Organisation zu gründen.

Handeln, nicht nur reden: Dafür stellt DiEM25 die Weichen, indem es die Teilnahme so einfach und niederschwellig wie möglich gestaltet. NGOs zum Beispiel, aber auch Gewerkschaften wie auch Einzelpersonen können lokale Zellen von DiEM25 gründen, solange sie sich mit anderen Mitgliedern der Bewegung in ihrer Umgebung abstimmen - und keine parteipolitischen Allianzen mit Dritten eingehen. So soll DiEM25 als offene Plattform funktionieren, über die sich Engagierte weitläufig international vernetzen können.

Der Erfolg von Podemos in Spanien

Wenn Parteien der Mitte die Politik der Rechtspopulisten nachahmen, dann helfe das einzig den Rechtspopulisten. Aber die giftige Mischung aus Wirtschaftskrise und Umverteilung nach oben - das müsse nicht zwangsläufig zu einem Rechtsruck führen, und zur Brandmarkung von Sündenböcken wie jetzt die Flüchtlinge und in den 1930er Jahren die Juden.

Teresa Forcades aus Katalanien, ihres Zeichens Benediktinische Nonne, Ärztin und feministische Theologin, wies auf den Erfolg von Podemos in Spanien hin. Die Tradition des linken Widerstands gegen Franco habe Podemos möglich gemacht; aber auch das Beispiel von Demokratiebewegungen in Südamerika. Da habe sich manchmal Nationalstolz mit einer gesellschaftlichen Solidarität verbunden, die das Eigeninteresse der Einzelnen überwinde. Als eines der Beispiele nannte Teresa Forcades den erfolgreichen Protest gegen die Privatisierung der Wasserversorgung in Bolivien.

Lager Calais: "Dante'sches Inferno"

Etliche der Diskutanten haben sich in den vergangenen Monaten für Flüchtlinge engagiert und sich auch selbst ein Bild von den katastrophalen Zuständen in Lagern gemacht. Die italienisch-französische Wissenschaftlern Cristina Soler-Savini fühlte sich im Camp Calais an Dantes Inferno erinnert und erzählte: Rund 100 unbegleitete Kinder würden in dem Lager mehrere Monate darauf warten, dass die britischen Behörden ihnen mitteilen, ob sie zu ihren Familien in England nachziehen dürfen.

Wie ein solcher Umgang mit Mitmenschen mitten in Europa zusammenhängt mit der Herrschaft von Konzernen, Finanzindustrien und deren Lobbys in Brüssel, dazu gab es gestern Hintergrundwissen und Analysen, die so noch nicht alle durch die Medien gegangen sind. Klar erscheint für Yanis Varoufakis und seine Mitstreiter von DiEM25: EU-Institutionen wie die Eurogruppe würden agieren wie ein Kartell. Um nationalen Parlamenten und Stadträten mehr Handlungsspielraum zu verschaffen, müsse man zuerst die EU demokratisieren.