Türkei vor Aufhebung der Immunität von Kurdenpartei

In der Türkei hat eine breite Mehrheit im Parlament für die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der Abgeordneten gestimmt - es ist noch ein zweiter Wahlgang am Freitag notwendig, doch dürfte die dafür notwendige Mehrheit auch dann zustande kommen. Der Schritt richtet sich in erster Linie gegen Parlamentarier der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP.

Ein Großteil ihrer Abgeordneten dürfte die Immunität verlieren. Die regierende islamisch-konservative AKP von Präsident Erdogan hat den Antrag auf Aufhebung der Immunität eingebracht.

Mittagsjournal, 18.5.2016

Aus der Türkei,

Dass im türkischen Parlament das Recht des Stärkeren im wörtlichen Sinne gilt, das haben die Abgeordneten in den vergangenen Wochen mehrmals unter Beweis gestellt. Der umstrittenen Abstimmung gestern Abend waren wüste Schlägereien vorangegangen. Dennoch stimmte schließlich eine klare Mehrheit in einem ersten Wahlgang für die Aufhebung der Immunität. Vor allem Mitglieder der AKP von Präsident Erdogan und der Nationalisten.

Die sozialdemokratische Opposition scheint gespalten, die Kurdenvertreter stimmten dagegen. Kein Wunder. Sie gelten als die eigentliche Zielscheibe des von Präsident Erdogan vorangetriebenen Vorhabens. Der beschuldigt die Mitglieder der pro-kurdischen Opposition ein verlängerter Arm und Sprachrohr der kurdischen Terrororganisation PKK zu sein.

Kritiker vermuten, dass der Präsident in Wahrheit nur ein Ziel verfolgt: die pro-kurdische Opposition als Partei möglichst rasch zu vernichten. Ein Blick auf die Zahlen spricht dafür. Zwar sind Abgeordnete aller Parteien von der Aufhebung der Immunität betroffen. Im Falle der pro-kurdischen HDP steht aber fast die gesamte Partei auf der Abschussliste: 50 von insgesamt 59 ihrer Abgeordneten sollen den Schutz vor Strafverfolgung verlieren:

„Die Immunität unter diesen Umständen aufzuheben ist ein Coup und ein weiterer Schritt zu einem diktatorischen Regime“ sagt der Vorsitzende der kurdischen Opposition, der Anwalt Selahattin Demirtasch. „Dieser Gesetzesantrag ist klar ein Verstoß gegen die türkische Verfassung.“

Normalerweise muss die Immunität jedes betroffenen Parlamentariers in langwierigen Einzelverfahren beschlossen werden. Jetzt soll mit einer einmaligen, nur vorübergehenden Verfassungsänderung die Immunität all jener aufgehoben werden, gegen die konkrete Anträge eingebracht wurden. Und so müssen sich die AKP, aber auch Teile der Opposition, die das Vorhaben unterstützen, den Vorwurf gefallen lassen, sich an der türkischen Verfassung vorbei zu mogeln.

Die pro-kurdische Opposition befürchtet jedenfalls, dass nach der zweiten Abstimmungsrunde am Freitag ein Teil ihrer Parlamentarier in Untersuchungshaft genommen und gemäß der umstrittenen Anti-Terrorgesetze angeklagt werden könnte.

Genau über diese Gesetze streitet die Türkei derzeit auch mit der Europäischen Union. Die EU verlangt eine Reform der Anti-Terror Gesetze als Voraussetzung für die Aufhebung der Visapflicht türkischer Staatsbürger im Schengenraum. Präsident Erdogan lehnt dies strikt ab. Der Streit gefährdet den zwischen der EU und der Türkei ausgehandelten Deal über die Rücknahme von Flüchtlingen aus Griechenland, der der türkischen Seite als Gegenleistung eben auch Reisefreiheit für ihre Bürger in Europa in Aussicht stellt. Allerdings nur wenn dafür die notwendigen Kriterien erfüllt sind.