Repression in der Türkei steigt
Die EU muss mit der Türkei kooperieren, aber nicht um jeden Preis, das sagt Österreichs Innenministerin Mikl-Leitner. Sie steht mit dieser Skepsis nicht alleine da in Europa. In der Türkei seien Meinungs- und Pressefreiheit Fremdworte, Menschenrechte würden mit Füßen getreten, sagen Kritiker. Nach der jüngsten Terrorserie stellt jetzt Präsident Erdogan offen klar, dass er von Europas Werten wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht besonders viel hält.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 17.3.2016
Aus Istanbul,
Alle neu ankommenden Flüchtlinge sollen von Griechenland aus in die Türkei zurückgeschickt werden. Das ist der Hauptfeiler des Deals zwischen der EU und der Türkei, der beim Gipfel in Brüssel besiegelt werden soll. Dafür muss die Türkei allerdings als sicherer Drittstaat eingestuft werden was quer durch Europa und auch in der Türkei selbst für Kritik sorgt. Dort gehen die Behörden immer härter gegen Journalisten, Anwälte und Richter sowie generell Kritiker von Präsident Erdogan vor. Kurdische Politiker im Parlament will der Präsident vor Gericht stellen lassen. Als Reaktion auf die jüngste Terrorserie stellt Erdogan jetzt offen klar, dass er von Europas Werten wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nicht besonders viel hält.
Wie der türkische Rechtsstaat arbeitet, muss Chris Stephenson gestern in Istanbul mit voller Wucht erfahren. Der britische Computerwissenschaftler, der auf einer Uni in Istanbul lehrt, war auf dem Weg in ein Gerichtsgebäude. Um drei Kollegen Beistand zu leisten, denen dort wegen angeblicher terroristischer Propaganda der Prozess gemacht wird. In der Tasche von Stephenson wird ein Flugblatt gefunden. Eine Einladung zum kurdischen Neujahresfest von der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP. Das genügt offenbar. Stephenson wird festgenommen. Schnell findet sich ein Staatsanwalt, der ihm terroristische Propaganda vorwirft: „Ich lebe seit 25 Jahren in der Türkei. Meine Tochter ist 13, sie geht hier zur Schule. Meine Frau ist türkische Staatsbürgerin. Das ist alles ist furchtbar und völlig falsch“ sagt Stephenson. Wenige Stunden später wird er abgeschoben.
Auch der Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ hat gestern das Land mit seiner Familie verlassen. Die türkischen Behörden hatten dem kritischen Journalisten die Pressekarte nicht verlängert.
Als Reaktion auf die jüngste Terrorserie verstärkt Präsident Erdogan den Druck. Wieder greift er Intellektuelle und kurdische Abgeordnete an, bezeichnet sie als Helfer der Terroristen: „Es gibt keinen Unterscheid zwischen jemanden, der eine Waffe in die Hand nimmt. Und jenen, die Position und Titel ausnützen, um Terroristen zu unterstützen. Auch diese Personen sind Terroristen. Egal ob es sich dabei um Wissenschaftler, Politiker, Autoren oder Journalisten handelt.“ sagt der Präsident.
Somit sei klar: wer gegen Erdogan und seine Politik ist kann jederzeit unter Terrorverdacht festgenommen werden sagen seine Kritiker. Die Drohung des Präsidenten richtet sich in erster Linie auch gegen die Abgeordneten der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP im Parlament und deren Vorsitzenden Selahattin Demirtasch. Ihn und andere Parteispitzen will Erdogan unter dem Vorwurf Terroristen - sprich die PKK - zu unterstützen vor Gericht sehen. Und sagt das auch offen so.
Kurdische Politiker, Intellektuelle und Journalisten fühlen sich von den Europäern im Stich gelassen. Can Dündar, Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhurriyet, dem lebenslange Haft droht und der jetzt auf seinen Prozess wartet, weil er der Regierung vorgeworfen hat, sie habe radikale Rebellen in Syrien mit Waffen beliefert, drückt dies so aus: „Das Ganze ist ein schmutziges Geschäft. Damit sich Europa die Flüchtlinge vom Leib hält, damit die in der Türkei bleiben haben die Europäer einfach die Augen veschlossen vor dem was uns hier in der Türkei passiert.“
Die jüngste Terrorwelle, nicht zuletzt der Anschlag in Ankara mit 37 Toten am vergangenen Sonntag, für den die PKK verantwortlich gemacht wird, verunsichert die Bevölkerung. Viele unterstützen die harte Linie des Präsidenten. Doch gibt es auch die kritische Öffentlichkeit, die dahinter nur einen Vorwand von Tayyip Erdogan sieht, Kritiker endgültig mundtot zu machen. Zynisch reagiert man darauf, dass Europas Mächtige ausgerechnet jetzt die türkischen Führer so offen umgarnen. Wo diese doch kaum Respekt für Werte zeigen, die den Europäern angeblich so wichtig sind.