Judith Hermann - Die Meisterin der kurzen Form

Als die deutsche Schriftstellerin Judith Hermann 1998 den Erzählband "Sommerhaus, später" veröffentlichte, war das Echo überwältigend. Kritiker-Griesgram Marcel Reich-Ranicki nannte sie eine "hervorragende neue Autorin", und im Feuilleton wurde sie als Stimme ihrer Generation der Mittzwanziger gefeiert. Jetzt ist mit "Lettipark" das fünfte Buch der Berlinerin erschienen, und die Kritiken sind fast so überschwänglich wie bei ihrem Debüt.

Morgenjournal, 4.6.2016

Wie ein Atemholen der Figuren

Mitte vierzig ist Judith Hermann heute und das Alter teilt sie auch mit den meisten Figuren, die die siebzehn Kurzgeschichten ihres neuen Erzählbands, "Lettipark", durchstreifen. Sie hänge da fest in dieser Art des autobiografischen Schreibens, sagt die Autorin, und deshalb würden sich die Figuren und Geschichten auch ganz knapp an ihrem Alltag entlang bewegen. Damals wie heute war das so, nur würde ihre Heimatstadt Berlin nicht mehr so explizit als Schauplatz zutage treten wie in ihren früheren Büchern.

Melancholisch ist der Grundton der Geschichten. Die Figuren begegnen aus den Augen verlorenen Freunden, erinnern sich an zerbrochene Beziehungen oder an stornierte Lebensentwürfe. Dabei ist die Stimmung aber nie deprimierend. Dafür sorgen die ganz feinen Plots, die wie ein Atemholen und Kraftschöpfen der Figuren scheinen. Verantwortlich für die flirrende Atmosphäre ist aber der nach wie vor ganz charakteristische Sound von Hermanns Sprache. Die scheint im Lauf der Jahre sogar noch minimalistischer geworden zu sein.

Magische Atmosphären ferner Länder

Auch ferne Länder spielen wieder eine wichtige Rolle. Der alte Walfängerstützpunkt Nantucket etwa, unsterblich geworden durch Melvilles "Moby Dick" oder eine dschungelbewachsene Antilleninsel. Hier wie dort schafft es Judith Hermann in einem scheinbar aus dem Ärmel geschüttelten Satz, die magische Atmosphäre dieser Sehnsuchts- und Erinnerungsorte einzufangen. Leichthändig wechselt sie immer wieder zwischen hier und dort und zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Fast möchte man meinen, Judith Hermann hat sich diese gefinkelte Schnitttechnik von amerikanischen TV-Serien abgeschaut, doch die Autorin winkt ab.

Solange es Bücher gibt wie "Lettipark" sind wir von diesem Schreckensszenario aber noch weit entfernt. Denn auf die Idee Judith Hermanns Kurzgeschichten aus der Hand zu legen, um den Fernseher aufzudrehen, kommt mit Sicherheit niemand.

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Judith Hermann, "Lettipark", Erzählungen, Fischer
FAZ - Judith Hermann im Gespräch