Wer in Österreich arbeitet und wer nicht
Wer könnte arbeiten, aber tut es nicht? Wer möchte arbeiten, aber kann nicht? Ist die Mindestsicherung eine sozial Hängematte? Wir haben die Antworten.
8. April 2017, 21:58
Wie viele Menschen in Österreich könnten überhaupt arbeiten?
Um das zu beantworten, schaut man sich die Erwerbsquote an, also den Anteil der österreichischen Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren, die für den Arbeitsmarkt überhaupt zur Verfügung stehen. Das sind etwa 4-einhalb Millionen Menschen. Darin nicht enthalten sind zum Beispiel Menschen die krank sind, Studenten, Schüler, Frühpensionierte, oder Mütter, die ausschließlich zu Hause bei ihren Kindern sind.
Wie viele Menschen, die könnten, arbeiten nicht?
In Österreich gibt es derzeit knapp 405.000 Arbeitslose. Wen es betrifft, schildert uns AMS Chef Johannes Kopf:
„Ein Teil ist erst kurz arbeitslos, etwa bei einem Jobwechsel oder bei Saisonarbeitslosen. Es sind Menschen, die längerfristig nichts finden, und es sind Menschen, die umqualifiziert werden müssen. Wir haben etwa 220.000 männliche und 185.000 weibliche Arbeitslose. Etwa 285.000 von ihnen haben die österreichische Staatsbürgerschaft und 120.000 eine ausländische. Von der Ausbildung her haben die Hälfte aller Arbeitslosen nur Pflichtschule – das ist das größte Problem am Arbeitsmarkt. Es sind auch etwa 100.000 Arbeitslose, die älter als 50 Jahre sind, 70.000 sind sogenannte „jugendliche Arbeitslose.“
Wer bekommt Arbeitslosengeld?
Arbeitslosengeld bekommen Menschen die arbeiten können, wollen und dürfen - und - wichtig - schon ins Versicherungssystem eingezahlt haben. Wie viel Geld sie bekommen, hängt vom Einkommen ab, der Grundbetrag beträgt 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Wer Kinder hat, bekommt einen Familienzuschlag.
Wie viele Menschen, die arbeitslos sind, wollen nicht arbeiten?
Johannes Kopf, AMS
14.000, die alle Vermittlungsversuche des AMS ablehnen - das sind also von den 405.000 Arbeitslosen nicht einmal 3,5 Prozent, die wirklich "nicht arbeiten" wollen.
Wer bekommt Notstandshilfe, wer bekommt Mindestsicherung?
Notstandshilfe bekommen Menschen, deren Arbeitslosengeld ausgelaufen ist. Mindestsicherung bekommen Menschen, die arm sind. Sie bekommen im Schnitt 600 Euro im Monat je Haushalt, zeigen die Zahlen der Österreichischen Armutskonferenz. Haushalte mit Paaren mit vier oder mehr Kindern bekommen im Schnitt 1.100 Euro.
Die wenigsten Bezieher bekommen den höchst-möglichen Betrag. Denn: Wenn man ein niedriges Einkommen hat, oder wenn man andere Sozialleistungen bekommt, wie etwa Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe, reduziert das den Anspruch auf Mindestsicherung. Soll heißen: Viele bekommen die Mindestsicherung nicht statt der Arbeit, sondern zusätzlich zu dem was sie in der Arbeit verdienen - weil ihre Löhne zu niedrig sind. Oder: Wenn jemand Notstandshilfe bekommt, das aber weniger ist als die Mindestsicherung ausmachen würde, wird auf den Betrag der Mindestsicherung aufgestockt, erklärt der AMS Chef Johannes-Kopf:
Johannes Kopf, AMS
Aber über diese Realitäten ist in der politischen Diskussion über die Kürzung der Mindestsicherung wenig zu hören.
Johannes Kopf, AMS
Wie viele Menschen bekommen die Mindestsicherung? Sind das die Faulen?
Etwa 256.000 Menschen beziehen derzeit Geld aus dem Topf der Mindestsicherung. Mehr als ein Viertel sind Kinder, ein großer Teil sind Beschäftige mit sehr niedrigem Einkommen, etwa alleinerziehende Mütter mit Teilzeitjob - oder Personen, die ihre Arbeitskraft nicht einsetzen können, weil sie Angehörige pflegen, Mütter mit Kleinkindern oder psychisch oder körperlich Kranke.
Nur sehr wenige Menschen, die arbeiten könnten, leben zur Gänze von der Mindestsicherung, betont Martin Schenk von der Armutskonferenz:
Martin Schenk, Armutskonferenz
Übrigens: Würde die Mindestsicherung nach oben gedeckelt, wie von der ÖVP gefordert, würde das laut Schenk vor allem Familien mit mehreren Kindern treffen, Flüchtlingsfamilien und österreichische Familien gleichermaßen. Große Familien mit mehr als vier Kindern würden aber nur zwei Prozent der Mindestsicherungsbezieher ausmachen. Er hält das Thema daher für eine politische Scheindebatte. Außerdem zeige sich, dass Eltern mit vielen Kindern schneller wieder auf den Arbeitsmarkt finden als Einzelpersonen, die Mindestsicherung beziehen, sagt Schenk. Leichtfertig werde die Mindestsicherung auch nicht vergeben:
Martin Schenk, Armutskonferenz
Ein bedingungsloses Grundeinkommen wie es in der Schweiz diskutiert wurde, ist die Mindestsicherung also nicht.
Klingt nicht nach sozialer Hängematte?
Nein. Gut leben kann man von den 600 Euro Mindestsicherung im Schnitt nicht, schildert Martin Schenk von der Armutskonferenz:
Martin Schenk, Armutskonferenz
Die Mindestsicherung sei kein Phänomen der Randgruppen, wie früher die Sozialhilfe. Sie ist viel eher eine Überbrückungshilfe für Menschen, mit niedrigem Einkommen. Die meisten beziehen sie nur für sechs bis neun Monate, sagt Schenk.
Fazit: Die Mindestsicherung ist für die allermeisten Bezieher keine bequeme soziale Hängematte. Und nur sehr wenige Menschen, die keine Arbeit haben, wollen auch nicht arbeiten.