Sprachartistik von Raymond Queneau

Stilübungen

Der britische Schriftsteller Henry James behauptete einmal, dass man eine Geschichte auf fünf Millionen Arten erzählen könne. Fast 50 Jahre später hat Raymond Queneau Ähnliches in einem kleinen Büchlein namens "Stilübungen" ausprobiert und eine Geschichte in 99 Varianten präsentiert. Der Klassiker aus dem Jahr 1947 liegt nun erweitert und neu übersetzt vor.

In einem Pariser Bus beschimpft ein junger Mann einen älteren Herrn, setzt sich dann auf einen freien Platz und taucht zwei Stunden später am Gare Saint-Lazare wieder auf, wo einer ihm sagt, sein Überzieher habe einen Knopf zu wenig. Diese Szene variiert Raymond Queneau in seinen "Exercises de style". Bereits 1942 bis 1944 schrieb und veröffentlichte er Teile der "Stilübungen". 1963 erschien eine Neuausgabe, in der Texte der Erstausgabe fehlten oder durch neue ersetzt wurden.

Anfang der 1960er Jahre gründet Queneau gemeinsam mit anderen Autoren die Vereinigung "Oulipo" ("Ouvroir de littératue potentielle", auf Deutsch "Werkstatt für potentielle Literatur"), deren Mitglieder literarische Texte mit Methoden der Mathematik zu verbinden versuchten. Queneau galt als Meister dieser Literaturform, vielleicht weil er sich nicht willenlos den mathematischen Regelzwängen unterwarf, sondern immer auch den literarischen Stil vor Augen hatte.

Service

Raymond Queneau, "Stilübungen", aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, Suhrkamp Verlag
Originaltitel: "Exercises de style", Gallimard

"Prodesse et delectare" - stilistisch und auch mathematisch gesehen lernt man im Lesen der "Stilübungen" so manches, und unterhaltend ist das Ganze allemal.

Bereits 1961 haben Eugen Helmlé und Ludwig Harig eine deutsche Fassung von Queneaus "Exercises de style" erarbeitet. Diese ist ohne Zweifel gelungen. Doch dass nun Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel einen weiteren Anlauf genommen haben, ist sinnvoll: Sie haben den französischen Text behutsam in ein zeitgemäßes Deutsch gebracht. Außerdem hat Queneau noch eine Menge Texte als Teil der "Stilübungen" geschrieben, die in Frankreich posthum 2012 veröffentlicht wurden. Dies alles und auch noch Versuche der beiden Übersetzer, eigene Beiträge als "Stilübungen" zu schreiben, findet man im vorliegenden Band.