von Julya Rabinowich
Krötenliebe
In ihrem aktuellen Buch "Krötenliebe“, charakterisiert Julya Rabinowich die Zeit der Jahrhundertwende anhand der bizarren Beziehung von Alma Mahler zum enfant terrible der Wiener Kunstszene Oskar Kokoschka und zum exzentrischen Biologen Paul Kammerer.
8. April 2017, 21:58

DEUTICKE
Julya Rabinowich
Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, emigrierte im Alter von sieben Jahren mit ihrer Familie nach Wien. Sie ist erfolgreiche Autorin von vier Romanen und zahlreichen Theaterstücken. Als Simultandolmetscherin engagiert sie sich im Rahmen von Psychotherapie- und Psychiatrie-Sitzungen für Flüchtlinge. Ihre Bekanntheit verdankt sie auch ihrer wöchentlichen Kolumne in der österreichischen Tageszeitung "Der Standard“.
Julya Rabinowich schreibt auf Basis der recherchierten Fakten mit fantasievoller Empathie, hintergründigem Humor und mit psychologischem Knowhow. Sie eröffnet über ihre drei verhaltensgestörten Protagonisten, Alma Mahler, Oskar Kokoschka und Paul Kammerer eine spezielle Perspektive auf ein Zeitalter der individuellen Hysterie, das in die Massenhysterie des Nationalsozialismus mündet.
Neue Vergangenheit
"Wir hatten niemanden, der uns erzählen konnte als Verwandter, wie es hier war 1938, wies war hier 1914, wie es war 1920/1925, das war nicht unsere Vergangenheit eben. Und der Versuch, mir diese Zeit spürbar zu gestalten, mir diese Realitäten anzueignen, jenseits eines Lehrbuches, jenseits einer Dokumentation, war natürlich ein großer Antrieb an dieser Arbeit."
Die femme fatale Alma Mahler fasziniert, quält, inspiriert ihre Männer nach allen Regeln der Kunst und mimt gleichzeitig die aufopferungsvolle Frau, der man das Komponieren verboten hat. Den Tatsachen entspricht das nicht. Wenn ihre Auserwählten nicht rechtzeitig sterben, wie Gustav Mahler, um von der prominenten Witwe posthum öffentlichkeitswirksam verehrt zu werden, trennt sie sich vom nicht mehr begehrten männlichen Objekt und bleibt dabei kalt wie ein Fisch.
Der Maler Kokoschka tröstet sich mit einer der verlorenen Geliebten nachempfundenen Puppe über den Verlust hinweg, lässt sich von Alma aber trotzdem noch in den Ersten Weltkrieg hetzen.
Der Titel "Krötenliebe" ist dem fast vergessenen Epigenetiker und Antidarwinisten Paul Kammerer gewidmet. Kammerer ist ein so redlicher wie manischer Forscher, der mit seinen Kröten-Experimenten beweisen will, dass die Evolution nicht zufälligen Mutationen geschuldet ist. Er nimmt sich am 23. September 1926 das Leben.