"Dunkle Zeit für Türkei"
Er hat das angeblich gefährlichste Buch der Türkei geschrieben, Titel: Die Armee des Imam, doch noch vor dem Erscheinen wurde es schon verboten. Darin setzte er sich unter anderem kritisch mit der Gülen-Bewegung auseinander, die vor allem in offiziellen Reaktionen für den Putschversuch in der Türkei Ende vergangener Woche verantwortlich gemacht wird. Ahmed Sik ist einer der großen investigativen Journalisten, Kritiker von Präsident Erdogan genauso wie von Fethullah Gülen, der schon 2007 vor Putschversuchen der Armee warnte.
8. April 2017, 21:58
Morgenjournal, 20.7.2016
Aus der Türkei,
Unsinn, sagt Ahmed Sik, von einer Inszenierung des Putschversuchs durch Präsident Erdogan kann keine Rede sein. Das ist Propaganda von Erdogan-Gegnern. Man könnte auch vermuten: von jenen, die selbst die Finger im Spiel hatten. Ahmed Sik ist besonders glaubwürdig, ist er doch ein scharfer Kritiker des Präsidenten und nicht sein Verteidiger: Ich denke dass die Türkei zweifellos einem sehr ernsten Putsch entkommen ist. Kommentare, wie: das war Erdogans Theater haben ihre Basis wohl in der Gegnerschaft zu Erdogan oder der AKP. Die Türkei, wir alle, sind noch einmal davon gekommen.
Dennoch hält Sik die Entwicklung in der Türkei für alles andere als wünschenswert, ja sogar für gefährlich. Präsident Erdogan nutzt die Gunst der Stunde, seine beiden größten Gegner mit einem Streich zu besiegen: die Armee, der er schon vor Jahren viel Macht entzogen hat und die sich mit ihrem Beitrag zum Putschversuch endgültig ins Abseits manövriert hat. Und die Gulen-Bewegung, benannt nach einem langjährigen Weggefährten Erdogans, dem in den USA lebenden Prediger Fethullah Gulen. Seine Bewegung hat - laut Sik - seit den 80er Jahren systematisch Polizei und Justiz und damit den Staat unterwandert. Übrigens mit Hilfe und Duldung von Erdogan und seiner AK-Partei, der es nützlich erschien, auf diese Weise Machtpositionen zu besetzen. Dass die Gulen-Bewegung die mit Abstand einflussreichste islamische Bruderschaft wurde, störte da wenig.
Inzwischen hat sich der Wind aber gedreht, Erdogan und Gulen sind verfeindet, Gulen wird für den Putsch verantwortlich gemacht. Kommt jetzt als Reaktion eine Hexenjagd auf alle, die nicht für Erdogan sind?: Das ist keine Befürchtung, die Hexenjagd hat schon längst angefangen. besser gesagt die Hexenjagd die sowieso schon da war ist viel größer geworden und mitten drin in unserem Leben. Ich wiederhole, was ich schon gesagt habe: am 15. Juli wurde der Putsch verhindert, aber am 16. Juli ist eine Junta an die Macht gekommen.
Dass Erdogan auch gegen kritische Journalisten vorgeht hat er schon mehrfach bewiesen - und ist deswegen erst recht kritisiert worden. Dutzenden Radio- und TV-Stationen wurden erst gestern die Sendlizenzen entzogen worden - Medien- und Meinungsfreiheit sehen anders aus. Ahmet Sik wurde 2011 verhaftet, angeblich weil er zu einem geheimen Netzwerk gehörte, das einen Umsturz plante. Damals ließ der Untersuchungsrichter auch das Buch „Die Armee des Imam“ verbieten, das Sik gerade fertig geschrieben hatte und in dem er vor der Gulen-Bewegung warnte - der wahre Grund, warum Sik damals ins Gefängnis musste. Und heute?: Es ist eine furchtbar dunkle Zeit angebrochen. Wir sind in einer Türkei, die polarisiert und aufgeteilt ist in AKP-Anhänger und AKP-Gegner. Wir sind an einem Punkt angekommen, in dem nicht nur diejenigen zur Zielscheiber werden könnten, die mit dem Putsch zu tun haben, sondern alle, die nicht für die AKP sind.
Inzwischen sind tausende Menschen verhaftet, suspendiert oder abgesetzt worden, nicht nur hohe Militärs, sondern auch Richter, Staatsanwälte, Beamte und zuletzt auch tausende Lehrer.