Martin Kippenberger: Das Selbst als Kunstfigur

Er gehört zu den legendären Künstlerfiguren des 20. Jahrhunderts und brachte eine Forderung der Avantgarde zur Erfüllung: Die Verschränkung von Kunst und Leben setzte Martin Kippenberger mit Verve um. Keine Werkbesprechung ohne eine eingehende Besprechung seiner Biografie. Ab morgen widmet das Bank Austria Kunstforum Martin Kippenberger eine große Schau.

Morgenjournal, 7.9.2016

Abstraktes Gemälde

Martin Kippenberger, Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken, 1984, Friedrich Christian Flick Collection

Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne

Testosterongesteuerte Machosprüche, Alkoholexzesse und eine Menge Anekdoten, die in der Kunstwelt hinter vorgehaltener Hand zirkulierten. Martin Kippenberger alias Kippi wie ihn die Szene liebevoll nannte, inszenierte sich als hemmungslosen Kunstberserker, an dem sich der Bourgeois reiben darf. Er soff, er pöbelte, er liebte die ganz große Geste. Kippenberger ist ein Antipode zu einem zeitgenössischen Künstlertypus, der aufgeräumt und geschäftstüchtig als Manager seiner selbst auftritt.

„Diese Selbstinszenierung bei Kippenberger findet man bereits am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn. Er arbeitet mit dem eigenen Konterfei wie mit einer Marke. Eigentlich hat Kippenberger sich Methoden angeeignet, die wir uns heute alle als Social-Media-Benutzerinnen zu eigen gemacht haben“, Lisa Ortner-Kreil, Kuratorin im Bankaustria Kunstforum, über Martin Kippenberger als Pionier der zeitgenössischen Selbstbespiegelung in den sozialen Netzwerken.

Martin Kippenbergers Oeuvre ist vielschichtig. Stilistisch festlegen wollte er sich nicht. Sein Werk umfasst expressive Ölgemälde, die in der Nähe der so genannten „Neuen Wilden“ verortet werden können, genauso wie Arbeiten, die zumindest auf den ersten Blick an die puristische Ästhetik strenger Konzeptkunst erinnern.

Das Bank Austria Kunstforum zeigt zum Beispiel eine Installation aus dem Jahre 1991. Weiße Leinwände eingelassen in die Wand. Tritt man näher sieht man eine durchsichtige Kinderhandschrift, die Kippenberger sozusagen bewertet. Das Urteil: very good. Man darf schmunzeln im White Cube. Auch der Political Correctness, die in den 1980er Jahren erste Blüten trieb, begegnete Martin Kippenberger mit Humor. Seine Ölgemälde tragen mitunter Titel, die verstören. „Heil Hitler, ihr Fetischisten“ zum Beispiel. Auf Ausstellungsplakaten fragte er: „Was ist ihre Lieblingsminderheit? Wen beneiden Sie am meisten?“

Der Dialog von bildender Kunst und Sprache war dem Legastheniker Martin Kippenberger besonders wichtig. Das trifft auch auf eines seiner bekanntesten Gemälde zu. Es trägt den Titel „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“. Denn, ja, Martin Kippenbergers Werk hat auch eine ernste Seite. Wie viele Künstlerkollegen seiner Generation befasste sich Kippenberger mit Deutschlands verdrängter NS-Vergangenheit. „Das Besondere an ihm ist nicht nur, dass er permanent diese Provokationen in seiner Kunst durchlässt, sondern dass er auch die Empörungsreflexe des Publikums auf die Schippe nimmt. Ein Gemälde wie ‚Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken‘ zeigt auf der Bildoberfläche ein kraftvolles kubistisches Formen-Wirrwarr in schwarz, grau und rot und man kann eigentlich gar nicht genau sagen, worum es geht und der Bildtitel eröffnet erst eine neue Ebene“, so Lisa Ortner-Kreil, die die Ausstellung im Bank Austria Kunstforum kuratiert hat.

Martin Kippenbergers Werk besticht durch stilistische Vielfalt, seine Vita folgt einem Leitmotiv: Er inszenierte sein Selbst als Kunstfigur so konsequent wie es vor ihm vielleicht nur Andy Warhol getan hat.

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