Galerienprojekt "Curated by" in Wien
"Meine Herkunft habe ich mir selbst ausgedacht." Dieser Slogan bezieht sich nicht auf die allgegenwärtige Migrationsdebatte, so lautet das diesjährige Generalthema des Galerienprojekts "curated by". Ausgegeben hat es kein geringere als der Doyen der deutschen Popkritik, Diedrich Diederichsen.
8. April 2017, 21:58
ORF
Kulturjournal, 8.9.2016
Die Wände sind mit Postern austapeziert, das Bett ist nicht gemacht, am Boden liegen leere Flaschen, ein Joghurtbecher, ein Skateboard. Wer die Räumlichkeiten der Galerie Crone betritt, befindet sich inmitten eines Set-Designs, das aus einem amerikanischen Film stammen könnte. Genre: Teenage Comedy. Denn ja: Wir befinden uns zweifellos in einem Jugendzimmer. Und genauso lautet auch der Titel der Ausstellung in der Galerie Crone. Konzipiert hat die Schau ein Kurator, der eigentlich im Feld der Mode Furore gemacht hat: Dirk Schönberger, Kreativdirektor des Sportartikelherstellers "adidas". Schönberger inszeniert das Jugendzimmer als dreidimensionales Suchbild. Denn im Herzen des adoleszente Chaos` macht sich die Kunst breit. Schauen Sie genau hin: Im Bücherregal ist sogar ein echter Warhol versteckt.
Warhol im Jugendzimmer
"Zu Beginn war ich ziemlich beeindruckt von dieser Aufgabe. Ich war nicht sicher, ob ich das machen soll. Aber für mich war es eine Möglichkeit, mich neu mit Kunst auseinanderzusetzen", so der Kreativdirektor und Sammler Dirk Schönberger, der für die Galerie Crone einen Ausflug in die Kunstwelt gewagt hat. Schönberger beschäftigt sich in seiner Ausstellung mit dem Generalthema des Galerienprojekts "curated by". In diesem Jahr geht es um das künstlerischen Erbe und die Hommage, also die Verbeugung vor Vorbildern. Formuliert wurde das Generalthema von Diedrich Diederichsen. "Mich hat die These von Diedrich Diederichsen interessiert. Diederichsen hat einen Text geschrieben, der die Kuratoren von 'curated by' inspirieren sollte. Mich hat dieser Text sofort an meine Jugend erinnert. Ich wollte die ultimative Hommage gestalten. In einem Jugendzimmer baut der Jugendliche aus verschiedensten Elementen seine Persönlichkeit", sagt Dirk Schönberger.
"Enough romance. Let´s fuck!"
Seit Beginn zeichnet sich das Galerienprojekt "curated by" dadurch aus, dass nicht nur klassische Kuratoren und Kuratorinnen daran beteiligt sind. Das ist auch heuer so. In der Galerie Senn hat zum Beispiel die deutsche Künstlerin Cosima von Bonin eine poppige Schau zusammengestellt. Sie trägt den vielversprechenden Titel "Enough Romance. Let´s fuck!". Ein Schlachtruf, der auf Handtüchern der deutschen Künstlerin Nina Könnemann zu lesen ist. Sie hängen wie Fahnen an der Außenfassade der Galerie Senn. Der Weg von der Romantik zum Koitus ist also manchmal weit. Ninna Könnemann setzt ein Statement für mehr Aktionismus. Der ist auch in der Kunst zuweilen produktiv. Zum Beispiel wenn es darum geht, Vorbilder zu zertrümmern. Womit wir beim diesjährigen Generalthema von „curated by“ wären, das sich mit dem Verhältnis der Kunst zur Tradition beschäftigt. Die Kunstproduktion pendelt zwischen zwei Polen: zwischen der Verbeugung vor der Tradition und – wie bei den klassischen Avantgarden – der Zertrümmerung derselben. Da die Hommage, dort der Tabubruch. Die Kunst erfindet sich also nie ganz neu, sondern stellt immer einen Bezug zur Tradition her. So zumindest lautet die These Diedrich Diederichsens: "Eigentlich ist es ja die Summe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine gewisse Form der Selbstreflexivität entwickelt zu haben. Das heißt, die Kunst reflektiert die Bedingungen, unter denen sie entsteht. Dazu gehören auch Vorläufer und Traditionen. Das heißt, es ist ideologischer Kitsch an die komplette Neuheit von Kunst zu glauben. Es ist eine Marketingbehauptung. Aber heute wird wieder etwas ganz Neues gewünscht. Die Kunst der Digital Natives, die Post-Internet-Art, wird zum Beispiel als das Neue verkauft, das nur in den digitalen Medien entstehen konnte", so Diedrich Diederichsen, in diesem Jahr Stichwortgeber des Galerienprojekts "curated by". Doch Generalthemen werden auch verkündet, um ignoriert zu werden. Kurz: nicht alle Galerien befassen sich mit Diederichsens Thesen.
Abstrakte Körperkunst
Die Galerie Emanuel Layr zum Beispiel zeigt neue Arbeiten der jungen Künstlerinnen Lena Henke und Lisa Holzer. Holzer simuliert in ihren Arbeiten die abstrakte Malerei mit den Mitteln der Fotografie. Auf den ersten Blick nimmt man abstrakte Formen wahr, die mit vermeintlich gestischem Pinselstrich auf die Leinwand gebannt wurden. Erst aus der Nähe sieht man, dass es sich um Fotografien handelt. Der abfotografierte Werkstoff: Linsenpaste und Zuckerguss. Küchenzutaten als Material der Kunst: Sie sind möglicherweise als ironische Referenz auf den expressiven Malergenius zu verstehen. Für Lisa Holzer aber auch eine Annäherung an ein ganz klassisches Thema der Kunst: den Körper, zu dessen Grundbedürfnissen die Nahrungsaufnahme zählt. Die österreichische Künstlerin Lisa Holzer schafft abstrakte Kunstwerke, die als Beitrag zum Körperdiskurs verstanden werden können. Arbeiten von Lisa Holzer sind aktuell in der Galerie Emanuel Layr zu sehen.