Klaus Nüchtern über Heimito von Doderer

Mit Romanen wie "Die Strudlhofstiege" oder "Die Dämonen" gilt Heimito von Doderer als der Repräsentant der österreichischen Literatur der Nachkriegszeit. Heuer jährt sich sein Geburtstag zum 120., sein Todestag zum 50. Mal. Für den Literaturkritiker und "Falter"-Redakteur Klaus Nüchtern war das ein Anlass, in das Werk des großen Romanciers einzutauchen. "Kontinent Doderer. Eine Durchquerung" heißt seine umfangreiche Monografie.

Klaus Nüchtern

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Morgenjournal, 9.9.2016

Sperrig, kompliziert, umständlich und verstiegen - mit diesen Attributen versehen, gelten die Romane von Heimito von Doderer als Herausforderung für Leser und Leserinnen. Gleich am Anfang also die große Frage: warum soll man sich das antun? "Weil's einfach Spaß macht", stellt Klaus Nüchtern knapp fest und hebt die Dichte des Werks Doderers "auf sämtlichen Ebenen" hervor.

Jahrelang hat sich Klaus Nüchtern auf dem Kontinent Doderer herumgetrieben. Er hat die verschiedenen Bedeutungsebenen und Anspielungen, die sprachlichen Finessen und Skurrilitäten und das enorme Figurenarsenal unter die Lupe genommen und er hat "einen der komischsten der Literaturgeschichte" entdeckt.

Bis heute wird über Doderers Verstrickung in den Nationalsozialismus debattiert. Klaus Nüchtern klinkt sich in diese Diskussion nicht ein, ihn interessiert vielmehr, wie einer, der bekanntermaßen 1933 der NSDAP beigetreten war, in der Nachkriegszeit zum Staatsdichter per se avancieren konnte. Und er schlägt auch ein neues Kapitel der Doderer-Forschung auf. Der Titel: Warum der Filmverächter Heimito von Doderer überraschend viel mit seinem Zeitgenossen Alfred Hitchcock zu tun hat. Beide, so Nüchtern, hätten mit ihren sexuellen Obsessionen und Neigungen, namentlich Sadomasochismus und Voyeurismus, nicht hinter dem Berg gehalten. Im Ö1 Gespräch hebt Nüchtern etwa die Parallelen zwischen Doderers Roman "Die erleuchteten Fenster" und Hitchcocks Film "Fenster zum Hof" hervor.

Mit saloppem Ton, erfrischend unakademisch zugleich aber akribisch recherchiert, macht Klaus Nüchtern Lust auf Doderer und empfiehlt zum Einstieg: "Ein Mord, den jeder begeht", weil es ein klassisch gestrickter Krimi mit echtem Spannungsbogen sei. Nüchterns Lieblingsbuch sind die "Wasserfälle von Slunj" - alles, was Doderer könne, liefere er hier auf knapp 400 Seiten, in a nutshell.

"Bei sachgemäßer Benutzung, schreibt Klaus Nüchtern, "werfen die Romane doch einen beträchtlichen Gewinn ab". Das gilt auch für diese fundierte Monografie, die das Zeug hat, auch bis dato Doderer-abstinente Leser zu bekehren.